Ruhrgebiet. Freundliche freiwillige Helfer sollen das Gesicht der Kulturhauptstadt 2010 sein. In Seminaren werden die sogenannten Volunteers in allen wichtigen Fragen rund um die Kulturhauptstadt und ihr Programm geschult.
Kultur ist, wenn man trotzdem lächelt: „Die Vorstellung fällt leider aus. Der Star kommt nicht.” Natürlich kann auch eine Kulturhauptstadt nicht ohne Dramen, und deshalb wird sie Leute brauchen wie Sigrid, Heinz und Horst: die Hiobsbotschaften verbreiten, als seien sie gute Nachrichten.
Freiwillige vor! 1888 haben sich anmeldet, im kommenden Jahr mitzubauen an der Kulturhauptstadt; sie werden Wegweiser sein, Kartenabreißer und Übersetzer, die meisten möchten Gastgeber sein und die wenigsten Garderobenfrau. „Volunteer” heißen solche Helfer heutzutage, das klingt nach „wollen”, und tatsächlich ist der Job gänzlich unbezahlt. Aber dafür muss man ihn auch nur fünf Stunden lernen.
Ruhrgebiet können alle schon
Als 2006 die Fußball-WM ins Revier kam, haben sich seine Bürger noch in Seminaren um Freundlichkeit bemüht; knapp vier Jahre später setzen die Personaltrainer „die Prinzipien des Miteinanders einfach mal voraus”. Das ist Kultur, auch ohne Hauptstadt. Diese Woche in Essen ist es Hubert Küskens, der 40 Leute schult, und: Ruhrgebiet können die alle schon. Karl-Heinz war 35 Jahre auf Zeche, Horst nahm drei Jahrzehnte lang täglich die A 42, und die Studenten, die wollen endlich mal allen sagen, „wie geil es hier ist”.
Küskens Referats-Reise von der Karbonzeit bis zum Zechensterben nehmen sie wissend hin, die werdenden Volunteers wollen in die Zukunft blicken. „Positives Image des Ruhrgebiets schaffen”, schrieben sie auf die Karteikarten, auf denen sie ihrer Motivation einen Namen geben sollten, „Besucher motivieren für weitere Besuche”, „für unsere Region begeistern”. Ulrike, die der Kulturhauptstadt vier Sprachen anbietet, kennt es zu gut: dass andere Leute „mit Bochum null anfangen” können, „die haben allenfalls von Düsseldorf eine vage Idee”. Ein „ätzendes Gebiet”, sagen sie ihr, „alles dreckig”. Nicht nur Ulrike will das im nächsten Jahr endlich ändern; als der Trainer von den Schönheiten des Reviers erzählt, wärmt fühlbarer Stolz den Raum.
Zwischen 17 und 77
Der jüngste 17, der älteste 77, im Schnitt 40 Jahre alt: Das sind die ehrenamtlichen Helfer der Kulturhauptstadt. Die große Mehrheit bilden die 20- bis 29-Jährigen. Englisch sprechen fast alle, aber auch Norwegisch, Russisch, Finnisch oder die Gebärdensprache sind im Angebot.
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Gefühl für die Gegend aber wird nicht reichen, die Freiwilligen sollen auch Gefühl für die Gäste haben. Und da lässt Hubert Küskens keine Eventualitäten aus: Verhalten bei epileptischen Anfällen, Umgang mit geistig Behinderten, es kann ja alles passieren, und trotzdem soll die ganze Region ein Land des Lächelns sein. Was aber, wenn der Kulturbeflissene es nicht sieht? Also müssen die Teilnehmer der Schulung kleine Blindenführungen unternehmen, „erst fragen, dann helfen”, schärft Küskens ihnen ein. Aber dann nimmt Manfred die junge Annekathrin fest in den Arm, um sie durch die Tür in den Flur zu schieben, auch das ist wohl Ruhrgebiets-Kultur: zupacken und sagen, wo's langgeht.
Kaputtes Klo als Show
Was wiederum einem Gehörlosen nichts nutzt. Dafür entwirft der Trainer eine weitere Tragikomödie und nimmt ihr die Tonspur weg: „Leider ist das WC nicht in Ordnung”, müssen die Volunteers wortlos erklären, und wie sie nun Kreuze in die Luft schlagen, imaginäre Schlüssel umdrehen und mit aneinander gepressten Beinen twisten, ist wirklich ohne Worte. In 200 Metern verspricht die Aufgabe zum Glück die nächste Toilette, „positive Formulierungen machen immer bessere Stimmung”, sagt Küskens. Kultur ist auch, wenn man aus einem kaputten Klo kein Theater macht, sondern eine Show.
Solchen Einsatz 13 500-fach, „Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, gepflegtes Auftreten” und dass sie von Promis keine heimlichen Fotos machen, verlangt die „Volunteer-Vereinbarung” von den Kulturbotschaftern. Die machen, sagt Küskens, „das gleiche wie die Prominenten”: Bierhoff, Süßmuth, Genscher. Sie haben „die großartige Aufgabe”, steht in der Präambel, das „Gesicht der Kulturhauptstadt” zu sein. Diese hier sind lachende Gesichter. Und ihre Besitzer haben eine Mission: „Das Ruhrgebiet nach vorn bringen.” Wie praktisch, dass das auch die Mission von 2010 ist.