Hannover. Der frisch gekürte Chef der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, fordert einen neuen Energiekonsens in Deutschland, in dem auch der Bergbau seinen Platz hat. Er warnt davor, die Kohle zu verteufeln. Und Vassiliadis lobt Kanzlerin Merkel.

Auf die Bedeutung seines Namens wird Michael Vassiliadis nur ungern angesprochen. Die Übersetzung „König der Könige” klingt für einen Arbeiterführer zu aristokratisch. Vassiliadis war es nicht in die Wiege gelegt, einmal zum Chef der drittgrößten deutschen Gewerkschaft aufzusteigen. Er wurde im Knappschaftskrankenhaus Essen-Steele geboren. Nach der Realschule ging er als Chemielaborant zu Bayer, wo auch sein aus Griechenland stammender Vater arbeitete. Vassiliadis engagierte sich gewerkschaftlich, ging zur SPD. Nun löst er den langjährigen Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Hubertus Schmoldt, ab.

Mit 45 Jahren sind Sie der jüngste Vorsitzende einer DGB-Gewerkschaft – und der erste aus einer Zuwandererfamilie. Wie prägt das Ihre Arbeit?

Michael Vassiliadis: Mein Vater ist 1961 aus Griechenland nach Deutschland gekommen und war Schichtarbeiter bei Bayer, meine Mutter stammt aus einer Bergarbeiterfamilie. Ich empfinde meine Familiengeschichte als ein Stück deutsche Normalität. Deshalb überrascht mich, wie oft ich darauf angesprochen werde. Offenbar ist es doch nicht selbstverständlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen gelangen. In den USA etwa ist das schon anders.

Das Manager Magazin hat geschrieben, sie wollten den „Gewerkschafts-Obama” geben. Richtig?

Vassiliadis: Das ist mir zu dick aufgetragen. Ich wäre schon froh, wenn ich mehr Menschen für die Gewerkschaftsarbeit begeistern könnte.

Die IG BCE nennt sich „Zukunftsgewerkschaft”. Wie passt das zur Forderung, weiter mit staatlichen Subventionen Steinkohle in Deutschland fördern zu wollen?

Vassiliadis: Das passt sehr gut. Zu einer modernen Industriepolitik gehört eine sichere Energieversorgung, die auf heimische Ressourcen und Spitzentechnologien setzt. Unser Bergbau ist Weltspitze.

Sie wollen den Kohle-Ausstieg rückgängig machen?

Vassiliadis: Wir halten den Ausstieg für falsch. Aus gutem Grund steht im Steinkohlefinanzierungsgesetz, dass wir spätestens 2012 über die Zukunft des Bergbaus neu beraten. Wir setzen uns dafür ein, dass über 2018 hinaus in Deutschland Steinkohle abgebaut wird. Derzeit reden wir noch über staatliche Beihilfen von knapp 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist ein Bruchteil dessen, was die Regierung zur Rettung maroder Banken aufbringt.

Gibt Ihnen der Fall Datteln zu denken, wo der Neubau eines Kohlekraftwerks nach Beschwerden von Anwohnern vor dem Aus steht?

Vassiliadis: Wir müssen für mehr Akzeptanz von großen Industrieprojekten werben, sonst verstopfen wir unsere Zukunftsoptionen. Ich warne davor, die Kohle zu verteufeln. Ich hoffe sehr, dass der Bau in Datteln nicht zur Industrieruine verkommt. Hier ist auch die Landesregierung gefordert. Das Kraftwerk wird gebraucht.

Können Sie sich den Industriestandort Deutschland ohne Kohle vorstellen?

Vassiliadis: Nein. Es sei denn, wir gäben uns der absurden Vorstellung hin, Kohle durch mehr Importe von ausländischem Atomstrom zu ersetzen.

Was erwarten Sie von der künftigen schwarz-gelben Bundesregierung?

Vassiliadis: Wir brauchen einen neuen Energiekonsens, der langfristig die Weichen stellt für eine ausgewogene, sichere, preisgünstige und umweltverträgliche Versorgung. Darüber sollten Regierung, betroffene Unternehmen, gesellschaftliche Gruppen und Gewerkschaften gemeinsam beraten. Eine entsprechende Vereinbarung im Koalitionsvertrag wäre hilfreich. Wenn ein Konzept vorliegt, wäre ein Energiegipfel sinnvoll. Denn die Entscheidungen müssen länger tragen als nur eine Legislaturperiode.

Sie haben Kanzlerin Merkel mehrfach getroffen. Stimmt die Chemie?

Vassiliadis: Ich habe sie als kluge Frau kennengelernt, die sehr an der Sache orientiert ist. Ein unideologischer Zugang kann uns in der Energiepolitik nur helfen.