Dortmund. Kein Bergmann fällt ins Bergfreie, haben sie ihnen gesagt. Doch nun kriegten die ersten Kumpel die Kündigung. Und manchem bei der Pleitefirma Deilmann-Haniel fehlten nur noch Monate bis zur rettenden Frührente.
Sie kommen gerade von der Nachtschicht, „Streckenvortrieb“, erklärt Volker Nussmann:1350 Meter tief, 35 Grad, 7. Sohle. Sie werden dort gebraucht. „Die Arbeit ist da“, sagt Dieter Kusber. Trotzdem haben sie in sechs Wochen wohl keine mehr: Ihre Firma ist pleite. Die Kündigungen sind schon raus. „Ab 31.12. ist Deilmann-Haniel nicht mehr.” Und die Bergleute Nussmann und Kusber fallen ins Bergfreie.
Sie haben das kommen sehen und doch nie geglaubt: dass das Unmögliche möglich werden kann. Bergmänner werden nicht arbeitslos, das hatte man ihnen versprochen. Und Insolvenz kannte doch nicht mal der Betriebsrat. In Nussmanns Erinnerung ist dieser Satz noch frisch: „Deilmann ist unpleitbar.” Der Reviersteiger fühlte sich sicher, sein Maschinensteiger auch: „Kein Bergmann”, wiederholt Hartmut Chlosta den alten Schwur, „fällt ins Bergfreie.”Nicht ins Bergfreie, sagt Kusber, der Sprengbeauftragte: „Ins Bodenlose. Das ist noch viel schlimmer.” Sie waren schon beim Arbeitsamt, aber mit Bergleuten, hat man ihnen gesagt, können sie dort nichts anfangen. Zumal mit diesen nicht: Fast 50 sind sie, und das ist besonders bitter – Monate nur fehlen diesen Dreien bis zur Frührente. „Anpassung” heißt die im Bergbau, APG. „Je näher man da dran ist, umso schmerzhafter”, sagt Nussbaum: Für ihn gibt es nun Arbeitslosengeld statt APG.
Dabei haben sie Kinder, vielleicht ein Haus und nun die Unsicherheit: „Existenzangst”, sagt Nussmann, „einfach nur Angst”, sagt Kusber. Sie haben ihre Lebensplanung umgestellt, Frau Nussmann geht jetzt arbeiten; 250 000 Euro, haben sie ausgerechnet, werden sie verlieren. Dieter Kusber hat gar nicht erst gerechnet, das Haus ist nicht bezahlt, die Frau kann nicht arbeiten, der Mann sucht. Er will arbeiten, und wenn er nur etwas fände, müsste er auch: 28 Jahre war er dabei, elf Monate fehlen ihm zur APG; aber anderswo geht Rente erst ab 60. Sechs Wochen noch. Hartmut Chlosta, 33 Jahre unter Tage, ist körperlichen Stress gewohnt, aber als er hörte, wie es seinem Unternehmen geht, wurde ihm schwarz vor Augen. Auch die Familie leidet unter der Ungewissheit, unter den Mahnwachen, den Demonstrationen, die alle nichts halfen. Und ab Januar, ahnt Chlosta, wird auch noch die finanzielle Lage „ganz, ganz mies”. Beim Arbeitsamt hatten sie für ihn nur einen Kaffee. „Gerade in Gelsenkirchen.”
Denn Deilmann ist ja kein Sündenfall aus Dortmund im fernen Osten. Es ist ein Ruhrgebietsdrama: Chlosta kommt aus Buer, Nussmann aus Bochum, Kusber aus Recklinghausen; sie fahren in Bottrop ein und Hamm. Aber gerade erleben sie, dass das Revier unter Tage nicht mehr eins ist. „Wir haben Hand in Hand gearbeitet mit denen von der Deutschen Steinkohle, wir haben mit denen die Lichterketten gemacht – und jetzt lassen die uns im Stich.” Ein Dilemma, sagt ein DSK-Sprecher, man könne nicht helfen: „Wir sind nicht die Firma.”
Die Firma ist Deilmann, und die hat keine Aufträge mehr. Und überhaupt lieferte sie den Zechen ja „nur” zu. Kürzlich hat das noch wer gesagt: Die Deilmänner seien Zulieferer, keine Bergleute. „Verleumdung”, schnaubt Volker Nussmann und nimmt eine Prise Schnupftabak, „da fühle ich mich angegriffen.” Bergmänner seien sie, mit derselben Ausbildung. Und haben sie nicht ein Bergmannsbuch und einen Bergmanns-Versorgungsschein? Chlosta hat seinen mitgebracht: „Steht da etwa Zuliefererschein?” Nussmann nimmt noch eine Prise. „Wir unterscheiden uns weder im Aussehen noch in der Tätigkeit von den anderen.”
Oder doch? Jedenfalls, erinnert sich der Reviersteiger, seien die Deilmänner immer Notstopfen gewesen, hätten oft die Strecken mit den schwierigsten Bedingungen bearbeitet. „Und uns dann so zu behandeln. . .” Dabei wollen sie doch nur Arbeit, und sie sind sicher, dass es die gibt.
Nussmann hat immer daran geglaubt: Wer arbeiten will, kriegt auch Arbeit. „Aber der Glaube geht dahin.” Vielleicht hatten sie bei all dem Gerede vom Kohleausstieg noch gedacht, sie kämen trotzdem irgendwie durch. „Aber nix is'.” Und Gerechtigkeit, sagt Kusber, „die hast du doch nie”. Es ist gar nicht lange her, da waren diese drei stolz darauf, Deilmänner zu sein. „Wir waren Spezialisten.” Was sind sie jetzt? „Ein Trümmerhaufen.”