Golf von Aden. Mit einer internationalen Flotte versuchen die Europäische Union und weitere Staaten, die Seeräuberei am Horn von Afrika einzudämmen. Ein schwieriger Auftrag, denn das Gebiet ist riesig - und für die Piraten hat jetzt die Saison wieder begonnen.
Der Hilferuf erreicht die italienische Korvette „Comandante Borsini” um 11 Uhr 32 Ortszeit. Position: 13 Grad, 27 Minuten Nord, 47 Grad, 57 Minuten Ost – mitten im Golf von Aden zwischen Somalia und der jemenitischen Küste. „Ein Handelsschiff ist von Piraten angegriffen worden”, sagt Angelo Bianchi, der Kommandant des „P 491”, das im Rahmen der EU-Mission „Atalanta” Piraten aufspürt. „Counter-Attacke in 15 Minuten”, befiehlt der Kommandant. „Hubschrauber startet in fünf Minuten”. Die Korvette ändert ihren Kurs: Wir sind nur knappe fünf Seemeilen von den Piraten entfernt. Mit 25 Knoten gleitet die „Borsini” durch das tiefblaue Wasser.
An Deck macht sich der achtköpfige Eingreiftrupp fertig. Das mit Maschinenpistolen bewaffnete Team, darunter die 28jährige Soldatin Paola aus Padua, soll die Piraten mit seinem Speedboot aufspüren und festnehmen. Das Thermometer ist auf 46 Grad geklettert, der milchige Himmel schränkt die Sicht ein.
Warnschüsse aus der Bordkanone
Der Hubschrauber dreht in einer Rechtskurve ab. Er soll am Boot der Piraten ein Rauchzeichen setzen. Das 35mm-Geschütz auf dem Oberdeck ist für den Warnschuss bereit. Wir tragen Ohrenschützer. Capitano Bianchi, die halb gerauchte Zigarre lässig im linken Mundwinkel, brüllt ein Kommando. Plötzlich zerreißt ein ohrenbetäubender Knall die stickige Luft, es folgen ein Dutzend weitere Warnschüsse aus dem 35mm-Geschütz. Wir sehen das Schlauchboot des Marineteams übers Wasser preschen.
Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Die maskierten Marineschutzkräfte haben die „Piraten” gefesselt und hieven sie an Deck. „Action completed”, ruft der Capitano, „dies war eine Übung”.
Seit ihrem Einsatz Anfang Juli haben die 75 Männer und zwei Frauen auf der „Borsini” noch keinen Piraten leibhaftig gesehen. Doch die Freibeuterei im Golf von Aden, den pro Jahr mehr als 20 000 Schiffe passieren, hat Konjunktur. Im ersten Halbjahr gab es 86 Überfälle, davon 44 vor der Ostküste Somalias. Zehn Handelsschiffe mit ihren Besatzungen halten die Piraten derzeit fest, darunter seit Anfang April die deutsche „Hansa Stavanger”. Die wachsame Marinepräsenz im Golf macht es den Seeräubern schwerer.
Doch jetzt ist wieder Saison: Die Monsunzeit ist vorbei, die See ist ruhiger. Das „Geschäftsmodell” der Freibeuter hat mit den Raubzügen früherer Seeräuber nichts gemein: Sie verlangen horrende Lösegelder und handeln wie Unternehmer, indem sie ihre Gewinne in größere Mutterschiffe und bessere Waffen re-investieren. „Sie können aus 200 Kilometer Entfernung die Registriernummer eines Schiffes erkennen”, weiß ein italienischer Offizier, „sie kennen die Routen und Ladungen”.
Inzwischen operieren vier multilaterale Marinegruppen am Horn von Afrika. Dazu kommen Kriegsschiffe aus China, Indien, Russland, Malaysia, Japan und dem Iran. Unter den Kommandeuren stimmt man sich inzwischen ab, wer wo kontrolliert. Zuvor hatte vor allem die EU Anlaufprobleme, ihre erste maritime Aktion zu starten. Obwohl der Kampf gegen die Piraterie in einer Uno-Resolution alle Aktionen für ein robustes Vorgehen schafft, gab es zähe Mandatsverhandlungen.
Ins Visier der Kritik gerieten deutsche Bedenkenträger. „Das Verhalten unserer Regierung wird nicht unbedingt von Härte und Entschlossenheit geprägt”, klagt Vizeadmiral a. D. Ulrich Weisser, „sondern von der typischen Verrechtlichung”. Ulrich Kirsch, Chef des Bundeswehrverbandes, schlägt in diese Kerbe: „Wir kommen nicht umhin, die Mutterschiffe der Piraten anzugreifen”. Der CSU-Parlamentarier Hans-Peter Uhl verlangt gar, „Schiffe der Seeräuber unverzüglich zu versenken”. Das aber geschieht ebenso wenig wie abenteuerlich riskante Befreiungsaktionen gekaperter Besatzungen.
Alarm im Seeaufklärer
Dennoch ist der Marine-Einsatz „kein Ausflug in warme Gefilde”, wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier zutreffend sagt. Zwei Fregatten, die „Rheinland-Pfalz” und die „Brandenburg” sowie ein Seeaufklärer sind jetzt im Einsatz. „Militärisch werden wir das Problem nicht lösen”, weiß ein deutscher Fregattenkapitän. Man müsste Somalia nicht nur beim Kampf gegen Piraten, „sondern auch bei der Wiederherstellung staatlicher Strukturen helfen” (Steinmeier). Ein frommer Wunsch, dem niemand nachkommen mag, schon gar nicht militärisch.
Die Tagesroutine erleben wir an Bord des Seeaufklärers P-3 A: In 3000 Meter Höhe fliegt die mit Computern vollgestopfte Propellermaschine jeden zweiten Tag acht Stunden lang den ihr zugeteilten Abschnitt der „Autobahn” ab – so heißt die Transitstrecke, auf der sich in dichter Folge die Schiffe in Richtung Indischer Ozean oder Rotes Meer bewegen. „Die gekaperten Schiffe”, berichtet der Offizier Arno F. aus Köln, „haben sich nicht an die Spielregeln gehalten und Abkürzungen gewählt”.
Vom Radar sind die flinken „Skiffs” der Piraten nicht zu orten. Wohl aber von der Kamera der P-3 A: Um 9 Uhr 17 erfasst sie ein Speedboot. Auf dem Schirm sind vier stehende Männer zu sehen – Waffen und eine lange Leiter. „Wir gehen runter, damit sie uns sehen”, höre ich den Operator sagen. Im Sinkflug verändert sich das Bild: Das „Skiff” ist langsam geworden, die Männer sitzen, Waffen und Leiter wurden über Bord geworfen.
Diesmal haben wir „richtige” Piraten gesehen.