Dresden. US-Präsident Obama traf die deutsche Bundeskanzlerin nur kurz. Eine Retourkutsche für mangelnde Wahlkampfhilfe Merkels im vergangenen Sommer? Zumindest ein Zeichen dafür, was Obama wirklich wichtig war: Das KZ Buchenwald.

Angela Merkel und Barack Obama ordnen ihre Gesichtszüge neu. Bisher haben sie ziemlich ernst dreingeschaut, als sie den amerikanischen und deutschen Journalisten erläutert haben, worüber sie unter vier Augen miteinander gesprochen haben. Über den Nahen Osten, die Weltwirtschaftskrise und den Klimawandel. Der US-Präsident und die Kanzlerin haben beteuert, dass man eng zusammenarbeite. Merkel hat Obamas Rede vom Vortag in Kairo als bedeutend gewürdigt, und Obama hat Deutschland als entscheidenden Partner sowie Merkel als Freundin bezeichnet. Er hat sogar gesagt, dass er die intelligenten Analysen der Kanzlerin schätze. Aber die Frage nach den Spekulationen über ihr schwieriges Verhältnis steht da noch immer im Raum und wird auch formuliert, woraufhin beide ihre Mienen synchron aufhellen. Merkel lächelt fest, während Obama die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten als hervorragend einstuft. Alle Spekulationen darüber entbehrten jeder Grundlage, sagt Obama und grinst. „Stop it. All of You.”

Den erhobenen Zeigefinger kann man dem mächtigsten Mann der Welt nicht verübeln, weil er so charmant lacht, als er den Journalisten den Satz zuwirft, mit dem ein Sozialarbeiter raufende Halbstarke zur Ruhe rufen würde: „Hört auf. Ihr alle.” Wenn einmal etwas im Gange ist, fragt ein erfahrener Sozialarbeiter, der später Präsident geworden ist, nicht mehr danach, wer angefangen hat. Ob also amerikanische oder deutsche Journalisten zuerst über Differenzen zwischen Merkel und Obama berichtet haben: Alle sollen aufhören.

Viele Hauptstädte, aber nicht Berlin

Dass Obama seit seinem Amtsantritt im Januar schon viele Hauptstädte besucht hat, Berlin aber nicht, wurde als sichtbares Zeichen einer Verstimmung mit mehreren Ursachen interpretiert. Merkel hatte dem Präsidentschaftskandidaten im vergangenen Jahr einen Wahlkampfauftritt am Brandenburger Tor versagt, weshalb es nahe lag, dass auch Obama der Kanzlerin eine Wahlkampfhilfe in Berlin mit schönen Bildern verwehren würde. Zudem wurden Merkels frühere Nähe zu George W. Bush und die unterschiedliche Beurteilung der Wirtschaftskrise als Probleme genannt.

In Dresden soll nichts davon zum Vorschein kommen. Auch über die Aufnahme von Gefangenen aus dem Lager Guantánamo habe es keinen Dissens gegeben. Er habe nicht nach konkreten Zusagen gefragt, sagt Obama, und er habe auch keine bekommen. Merkel entgegnet: „Es macht wirklich Spaß, mit dem amerikanischen Präsidenten zusammenzuarbeiten.” Es macht nur nicht so viel Spaß, sich gegenseitig zu umarmen, wie man wenig später den ungelenken Gesten ansehen kann.

Wichtige Stätten des Zweiten Weltkriegs

Obama betont die historischen Bezüge seiner Reise, die ihn gleich in die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Frauenkirche führen wird, am Nachmittag in das frühere Konzentrationslager in Buchenwald und schließlich zum 65. Jahrestag der Landung der Alliierten in die Normandie.

Buchenwald sei ein wichtiger Teil seiner Reise, sagt Obama und erzählt von dem Bruder seiner Großmutter, der als junger Soldat an der Befreiung des Lagers teilgenommen hat. Nach den schrecklichen Eindrücken in Buchenwald habe sein Großonkel lange gebraucht, um wieder in ein normales Leben zurückzukehren.

Elie Wiesel begleitet Obama und Merkel

In Buchenwald begleitet Elie Wiesel den Präsidenten und die Kanzlerin. Der Überlebende des Holocaust, dessen Eltern und Schwester in Auschwitz und Buchenwald ermordet worden sind, war unter den Häftlingen, die von US-Soldaten befreit wurden. Man sieht, von Kameras übertragen, wie der 80-jährige Friedensnobelpreisträger im so genannten „Kleinen Lager” mit Merkel und Obama spricht. Man sieht, wie sie dicht beisammenstehen, wie sie mit ernsten Gesichtern weiße Rosen niederlegen. In diesem Ernst wirken Merkel und Obama vertrauter miteinander als am Morgen in Dresden.