Gladbeck. Ein Leben mit drei Kindern und den Tücken von Hartz IV: Bei Gabi (Name geändert) bröckeln seit der Trennung von ihrem Mann Weltbild und Selbstvertrauen - und Geld ist knapp. Die 39-Jährige erzählt, wie sie versucht, den Alltag in den Griff zu bekommen.
Die kleine gelbe Hand auf rotem Hintergrund hat sie aufgehängt. Auch das Gedicht. Das Dankeschön an die Frau „ohne Beruf”, die, Streitschlichter, Zuhörer, Erzähler, Friseur und noch so manches mehr in Personalunion ist, wie ihre Tochter Vivian ihr attestiert. Beides sind Muttertagsgeschenke, die Gabi (Namen von der Red. geändert) von ihren drei Kindern bekommen hat. Auch morgen wird der Nachwuchs Mama mit liebevollen Aufmerksamkeiten überraschen. Aber morgen ist nach fast 20 Ehejahren alles anders. Denn Wolfgang, der Mann und Vater, hat vor sechs Wochen seine Sachen gepackt und ist gegangen.
Der Ehemann verlässt die Familie
Seither bröckelt Gabis Weltbild genauso rasant wie ihr Selbstbewusstsein. Schuldzuweisungen sind der 39-Jährigen fremd. Die globale Wirtschaftskrise ist halt auch im beschaulichen Gladbeck angekommen, hat ihren Mann mit seinem kleinen Unternehmen fast in den Ruin getrieben. Um die Insolvenz zu verhindern, stürzt er sich in die Arbeit, versucht die Firma mit einem Rund-um-die-Uhr-Job zu retten und verlässt die Familie, zahlt ein bisschen Unterhalt für die Kinder. Weil's finanziell eng ist, muss Gabi zur Arge gehen und für sich und die Kinder Hartz IV beantragen.
„Da komm' ich nie mehr raus”, sagt sie resigniert nach der ersten Beratung. Mit 17 Jahren hat sie eine Lehre im Einzelhandel absolviert. Bis auf vier Jahre Elternzeit habe sie immer gearbeitet und Sozialversicherungen gezahlt. Zwar nur in Teilzeit. 20 Stunden die Woche, aber immerhin. „Die Arge hat ausgerechnet, dass ich mit drei Kindern etwa tausendsiebenhundert Euro monatlich inklusive Miete benötige”, erzählt sie. Selbst wenn sie im alten Beruf wieder arbeitete – das bekäme sie netto nie. Nicht mal in Vollzeit.
Wer soll sich um die Kinder kümmern?
Die Geschichte des Muttertags
Ann Maria Reeves Jarvis, eine Frauen-bewegte Amerikanerin, gilt als Begründerin des Muttertages.
Sie rief 1865 eine Mütterbewegung namens Mothers Friendships Day ins Leben.
1870 initiierte Julia Ward Howe eine Friedenstag-Initiative, in der sich Mütter gegen die Kriegseinsätze ihrer Söhne wehrten.
Ab 1922 wurde der Tag auch in Deutschland etabliert. Während des Nationalsozialismus wurde die ursprüngliche Friedensidee konterkariert. Es rückte die Idee der „germanischen Herrenrasse” in der Vordergrund.
Daran ist zur Zeit allerdings gar nicht zu denken. Tim und Lena-Marie gehen in den Kindergarten, Vivian besucht die Grundschule. Um kurz nach 8 müssen die Kleinen abgeliefert werden, um 12.15 Uhr holt Gabi sie ab. Mittags könnte sie sie noch einmal für eineinhalb Stunden abgeben. Vivian, die Große, bleibt „verlässlich” bis 13.45 Uhr in der Grundschule. „Das kostet allerdings achtunddreißig Euro im Monat”, berichtet Gabi.
„Wer soll sich um die Kinder kümmern, wenn ich den ganzen Tag arbeiten würde?”, fragt sie. Na klar, Schwester Britta hilft aus. Gabis Mutter und Vater spielen zurzeit ebenfalls sporadisch Ersatz-Eltern. „Das ist aber keine Lösung”, weiß Gabi. Eine Kinderbetreuung gebe es nicht. „Wer wäre in den Ferien da, oder wenn die Kinder krank werden?”, fragt sie. Selbst über eine Umschulung hat sie sich Gedanken gemacht. Ein Job, mit dem sie das nötige Geld für die Haushaltskasse verdienen könnte – doch Umschulungen seien nur in Vollzeit möglich.
Möbel bei Ebay versteigert
Doch zunächst steht der Umzug an. Das Reihenhäuschen mit kleinem Garten ist zu groß für die jetzt alleinerziehende Mutter. Eine Wohnung im Hochhaus, siebter Stock mit Ausblick auf Phenolchemie im Süden und das Kraftwerk Scholven im Norden, scheint der Arge angemessen. „Ich freu' mich auf die Wohnung”, macht Gabi sich Mut.
Den braucht sie jetzt auch. Denn in Momenten totaler Resignation, sagt sie auch: „Wenn die Kinder nicht wären,...” Denn wie sie Umzug und Renovierung logistisch und finanziell stemmen soll, das weiß die an sich eher taffe und starke Frau allerdings nicht immer. „Ich habe mir eine Sitzecke im Second-Hand-Laden gekauft und Möbel, die ich nicht stellen kann, bei Ebay versteigert”, berichtet sie.
Außerdem musste sie ihre Lebensversicherung, die einmal ihre Rente aufstocken sollte, auf Anweisung der Arge auflösen. „Bis auf einen Sockelbetrag von neuntausend Euro muss ich damit zunächst unser Leben finanzieren”, berichtet sie frustriert. „Und was sind neuntausend Euro, wenn ich mit drei Kindern umziehe?”, fragt sie.
"Wenn Sie nicht genügend Rente bekommen, beantragen Sie doch Hartz IV"
Erste Erfahrung mit Kosten hat sie bereits gemacht. Ein Handwerker, der Renovierungsarbeiten unter der Hand erledigen sollte, verlangte 1600 Euro. Ein solidarisches Schnäppchen sozusagen, von einem Hartz-IV-Empfänger an eine Hartz-IV-Empfängerin. Außerdem hadert sie mit der Anweisung der Arge. „Ich habe denen gesagt, dass es eine Absicherung fürs Alter ist. Darauf bekam ich zur Antwort: Wenn Sie nicht genügend Rente bekommen, können sie ja Hartz IV beantragen”.
Bei dem Satz muss Gabi schlucken. Sie dreht sich um, wischt eine Träne weg und hängt Vivians gerahmtes Gedicht über die „Frau ohne Beruf” über eine Kommode neben dem Esstisch. Direkt neben die kleinen gelben Kinderhände auf rotem Grund.