Essen. Die Experten sind sich einig: Das Gröbste ist überstanden, auf die Wirtschaftskrise folgt allerdings noch kein fulminanter Aufschwung. Über den künftigen Verlauf orakeln die Fachleute aber höchst unterschiedlich.

Die Bestandsaufnahme

Im ersten Quartal 2009 erreichte die Konjunktur ihren Tiefpunkt. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Eine rasantere Talfahrt hat das Statistische Bundesamt seit Beginn der Berechnungen im Jahre 1970 nicht gemessen.

Nicht so stark wie erhofft hellte sich die Stimmung in den Unternehmen auf. Der Ifo-Geschäftsklimaindex kletterte im April auf 84,2 Punkte von 83,7 Zählern im Vormonat, so das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo). Experten hatten einen Anstieg auf 85 Punkte erwartet.

Die Verbraucher

Worauf fußt die Hoffnung? Von dem Abwärtstrend unbeeindruckt zeigen sich insbesondere die Verbraucher. Sie sind in Kauflaune, hat die Gesellschaft für Konsumklimaforschung (GfK) herausgefunden – und zwar deutlich mehr als 2008. Das führen die Konsumforscher insbesondere auf die Abwrackprämie für Pkw zurück. Überraschend zog im Mai auch die Konsumlust der Amerikaner an. Eine gute Nachricht für die exportabhängige deutsche Wirtschaft.

Die Händler

„Die Krise hat die Kassenzonen der Edeka-Märkte bisher nicht erreicht”, sagte ein Sprecher von Deutschlands größtem Lebensmittelhändler dieser Zeitung. Das Kaufverhalten polarisiere sich zunehmend. Bei Edeka seien günstige Eigenmarken, aber auch Premium-Produkte stark gefragt. Umsatz-Einbrüche erwartet die Hamburger Konzern-Zentrale nicht und setzt trotz Krise auf Expansion: Die Kette will 1,2 Milliarden Euro investieren und 8000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Konsumzurückhaltung beobachtet Karl-Erivan Haub derzeit gerade einmal bei größeren Anschaffungen. Das bekommt der Chef der Mülheimer Unternehmensgruppe Tengelmann in seinen Obi-Baumärkten zu spüren. Das Lebensmittelgeschäft in der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann indes bezeichnet er als „recht stabil”. Insbesondere aber die Discounter KiK (Textilien) und Tedi (Haushaltswaren) kämen aufgrund des Niedrigpreis-Niveau gut durch die Krise.

Die Prognosen

Doch es gibt auch Risiken, sollte im Sommer tatsächliche die befürchtete Pleiten- und Stellenabbau-Welle anrollen. Ob sich das „robuste Konsumklima” in den nächsten Monaten fortsetzen wird, hängt nach Einschätzung der Konsumforscher von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ab. Der hat sich im Mai überraschend gut erholt. Allerdings befinden sich rund 600 000 Beschäftigte in Kurzarbeit – ein Instrument, das sich gerade kleine Unternehmen nach Experten-Einschätzung nicht über den gesetzlich möglichen Zeitraum von zwei Jahren leisten können. Nachdem die Energiepreise seit Herbst sanken, die Arbeitnehmer von Tariferhöhungen profitierten und auch die Rentner seit Juli im Schnitt 2,5 % mehr pro Monat zur Verfügung haben, greifen die Verbraucher in den Läden beherzt zu. „Sinkende Preiserwartungen stärken den Konsum”, fasst Rolf Bürkl von der GfK Marktforschung die Entwicklung zusammen.

Eine Erholung der Wirtschaft sagt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung voraus. ZEW-Präsident Wolfgang Franz: „Das Schlimmste ist überstanden.”

V, W, U oder L?

Welchen Verlauf die Konjunktur nun aber nehmen wird, darüber orakeln die Fachleute. Sandra Schmidt vom ZEW schlägt sich auf die Seite der Optimisten. Sie sieht die Tendenz, dass der Zyklus in Form eines „V” verlaufen werde. Nach diesem Modell folgt dem Absturz ein Boom. Das V-Muster „war in Deutschland in der Vergangenheit nicht die Ausnahme, sondern die Regel”, meint Andreas Rees, Chefvolkswirt der Bank Unicredit in Deutschland, der die Rezessionsphasen der letzten 40 Jahre ausgewertet hat. Laut Rees spreche dafür der rapide Lagerabbau in den Firmen.

Etwas zurückhaltender äußert sich Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. Vor einer Belebung sei zunächst eine Bodenbildung zu erwarten. „Die Konjunkturentwicklung dürfte also eher einem U als einem V gleichen”, so Ackermann.

Angesichts der sich bessernden Rahmenbedingungen halten sich pessimistische Ökonomen, die der Konjunktur einen W-förmigen Verlauf prophezeien, eher zurück: Dem schwachen Aufschwung, so das Szenario, folgt auf dem Fuße ein Abschwung, unter anderem, weil die staatlichen Programme verpuffen. Eine Stagnation nach dem Absturz, also ein L als Konjunkturverlauf, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer voraus. Er spricht von einer „blutleeren Aufwärtsbewegung”.