München. Wegen Beihilfe zum Mord an 29.000 Juden muss sich der mutmaßliche NS-Verbrecher Demjanjuk ab Montag vor dem Landgericht München verantworten. Es ist einer der letzten großen Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland. Demjanjuk war nur ein kleines Rädchen in der Vernichtungsmaschine der Nazis.
Von Montag an muss sich John Demjanjuk vor dem Landgericht II in München wegen Beihilfe zum Mord in 29 000 Fällen verantworten. Es ist einer der letzten großen Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland. Aber es ist einer der ersten gegen einen der „kleinen Fische”.
Denn Demjanjuk war keiner, der etwas zu sagen hatte. Ein kleines Rädchen in der gigantischen Vernichtungsmaschine der Nationalsozialisten soll er gewesen sein. Einer vom „Fußvolk der Endlösung”, wie ein Historiker die zahllosen Helfer einmal genannt hat. Und zwar einer, der nicht aus Deutschland kam. Auch das macht diesen Fall besonders.
Der gebürtige Ukrainer trägt noch den Vornamen Iwan, als er 1942 als Rotarmist in deutsche Kriegsgefangenschaft gerät. Dort sei er bis Kriegsende geblieben, behauptet der 89-Jährige. Dort habe er die Seiten gewechselt, sind seine Ankläger dagegen überzeugt.
Nazi-Jäger kommen in den 70ern auf seine Spur
Nach ihren Ermittlungen wird der damals 22-Jährige nach kurzer Zeit von der SS als ausländischer Hilfswilliger angeworben, wird ein so genannter Trawniki. In dieser Funktion, so die Anklage, sei er 1943 für sechs Monate als Wachmann ins Lager Sobibor versetzt worden. Tausende Menschen soll er dort in die Gaskammern getrieben haben.
Gesehen hat ihn dabei niemand. Jedenfalls niemand, der noch lebt. Zentrales Beweisstück ist ein Trawniki-Ausweis mit der Dienstausweisnummer 1393, ausgestellt auf Demjanjuks Namen und versehen mit der Unterschrift des Lagerleiters. Auch auf einer Versetzungsliste ist sein Name. Experten halten die Dokumente für echt, Demjanjuk bestreitet die Vorwürfe trotzdem. Nie habe er Juden ins Gas geprügelt. Lange Zeit sieht es so aus, als komme er davon. Schon kurz nach Kriegsende wird der Ukrainer Chauffeur bei der US Army im süddeutschen Raum. In den 50er-Jahren wandert er mit seiner Frau in die USA aus, nennt sich fortan John und wird Mechaniker bei Ford. 20 Jahre lebt er unauffällig in einer typischen Vorstadt, wird amerikanischer Staatsbürger.
Erst in den 1970ern stoßen Nazi-Jäger der USA auf Unterlagen, die Demjanjuk als KZ-Wächter ausweisen. Mehr noch: Überlebende der Judenverfolgung glauben, in ihm auf Fotos „Iwan den Schrecklichen” zu erkennen, der im Lager Treblinka den Betrieb der Gaskammern steuerte.
Nach Israel ausgeliefert
Demjanjuk wird nach Israel ausgeliefert und dort 1987 von einem Gericht zum Tode verurteilt. Er geht in Revision und hat Glück. Nach dem Fall der Sowjetunion öffnen sich die osteuropäischen Archive. Dort tauchen Beweise dafür auf, dass nicht Demjanjuk, sondern der im Krieg gefallene Iwan Martschenko der „Schreckliche” von Treblinka war. 1993 hebt der Oberste Gerichtshof Israels das Urteil gegen Demjanjuk auf.
Der Ukrainer kehrt in die USA zurück. Doch die Ermittler vergessen ihn nicht. Sie wühlen in Archiven, suchen Dokumente. Stück um Stück setzen sie das Puzzle Demjanjuk zusammen und stoßen auf Sobibor. 2008 wird Demjanjuk die Staatsbürgerschaft aberkannt, im Frühjahr 2009 liefern ihn die USA aus. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft in Stadelheim. Schwer krank soll er nach Schilderung seiner Familie sein. Angeblich gibt es Ärzte, die Demjanjuk nur noch ein paar Monate zu leben geben. Verhandlungsfähig ist er nach Einschätzung eines medizinischen Gutachters trotzdem – sofern ein Verhandlungstag nicht länger als drei Stunden dauert. Auch deshalb hat das Gericht 35 Tage terminiert. Erst einmal.