München. Blitzlichtgewitter und Tumulte im Gerichtssaal: Der Auftakt des Prozesses gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk wird zum Spektakel - dabei war die Devise des Müchener Landgerichts, eben dies zu vermeiden.

Die Devise des Münchener Landgerichtes war klar. Bloß kein Spektakel sollte das Verfahren gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk werden. Doch genau das wurde der Prozess am ersten Verhandlungstag.

Beihilfe zum Mord in 27 900 Fällen wirft die Anklage Demjanjuk vor. Im Todeslager Sobibor soll er Juden aus den Zügen geholt und in die Gaskammern getrieben haben. Der Mann aber, der mehr liegend als sitzend mit einem Rollstuhl in den großen Schwurgerichtssaal gefahren wird, treibt niemanden mehr. Halb geöffnet ist der Mund, das schüttere Haar wird von einer grauen Baseball-Kappe bedeckt, der Rest des Körpers wird von einer hellblauen Decke verhüllt. Schweigend und mit geschlossenen Augen lässt Demjanjuk das Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen. Ein Spektakel – und kein schönes.

"Alles Show"

Mitleid will dennoch nicht aufkommen. „Alles Show”, zischt eine ältere Dame im Zuschauerraum und viele nicken. Demjanjuks Gesundheitszustand ist nicht so schlimm wie es scheinen soll. Herzschwäche, Bluthochdruck und Gicht wird ein Gutachter später attestieren. Typische Krankheiten eines 89-Jährigen. Bis auf die eine seltene Knochenmarkkrankheit, die ein Spezialist diagnostiziert hat. Doch selbst sie hindert Demjanjuk nicht daran mitzubekommen, was um ihn herum passiert. „Eingeschränkt verhandlungsfähig” sei er. Zweimal 90 Minuten am Tag.

Doch verhandelt wird kaum am ersten Morgen. Lange herrschen chaotische Zustände vor dem Gerichtsgebäude an der Nymphenburger Straße.

Für spätestens 7.15 Uhr hat die Pressestelle die Journalisten aus aller Welt einbestellt. Auch, weil sie über 200 Akkreditierungen vergeben hat, obwohl im Saal nur 147 Plätze sind. Doch erst um 10 Uhr öffnen sich die Türen. Zwei strenge Sicherheitskontrollen und 60 Minuten später sind die ersten Journalisten im Saal. Arbeiten dürfen sie von dort aus nicht. Laptops und Handys sind verboten. Fragen nach dem „Warum” können die Wachtmeister nicht beantworten. "Wir haben unsere Befehle", sagt einer. Ein britischer Reporter schüttelt den Kopf. „Manches ändert sich offenbar nie in Deutschland.”

"Richter sind befangen"

Auch nach Eröffnung der Hauptverhandlung gestaltet sich der Prozess als zäh. Noch vor der Feststellung der Personalien des Angeklagten stellt Ulrich Busch, einer der Verteidiger, den Antrag, Richter und Vertreter der Staatsanwaltschaft als befangen abzulehnen. Anklage und Eröffnung des Verfahrens seien Akte der Willkür.

45 Minuten nimmt sich Busch Zeit, diesen Antrag zu begründen. Was zahlreiche Menschen im Zuschauerraum empört, kommt für Juristen nicht überraschend. Schon weil es möglicherweise die einzige Chance für Demjanjuk ist. Und weil es lange praktizierte Rechtsprechung in Deutschland war. Denn Busch beruft sich auf Notstand. Selbst wenn sein Mandant als Wächter in Sobibor tätig gewesen sein sollte (was Demjanjuk bis heute bestreitet), dann sei er nicht freiwillig dort gewesen. Wie viele andere Rotarmisten in Gefangenschaft habe er nur die Wahl gehabt, sich zum Trawniki – zum Hilfswilligen der SS – ausbilden zu lassen oder selbst in Gefangenschaft zu sterben.

Für Empörung unter den anwesenden KZ-Überlebenden und Angehörigen sorgte der Vergleich des Verteidigers, die SS-Hilfswilligen von Sobibor stünden „auf gleicher Stufe” wie die im Gerichtssaal anwesenden KZ-Überlebenden, da auch sie auf Befehl der SS dort hätten arbeiten müssen, um ihr Leben zu retten. Das wurde einem der Nebenkläger-Vertreter zu viel. Cornelius Nestler wies den Vergleich empört zurück: „Die Trawniki mordeten, die Juden nicht!” Der Prozess wird heute fortgesetzt.