Berlin. Beim Parteitag in Dresden will die SPD neu anfangen. Alles soll besser werden: Personal, Inhalt, Struktur. Franz Müntefering, der scheidende Vorsitzende, soll möglichst leise abtreten. Die Wahl von Sigmar Gabriel als Nachfolger gilt als sicher.

Den Dienst soll Franz Müntefering seiner Partei noch leisten: Ohne einen Rückblick im Zorn gehen. Bisher ließ der SPD-Chef offen, was "auf dem Parteitag in Dresden ansteht und zu sagen ist". Es steht, so viel ist klar, seine Ablösung an, ein Generationenwechsel. Es droht eine Abrechnung mit der Politik und dem Basta-Stil der letzten elf Jahre, den er wie kaum ein anderer - Altkanzler Gerhard Schröder bleibt fern - verkörpert. Die Kritik verdichtet sich in der "Rente mit 67", die ein Reizthema und Münteferings Werk ist. Und weil er auf dem dreitägigen Parteitag heute die erste Rede hält, hängt viel von ihm ab. Erduldet er die Kritik?

Selbstanklage wäre nicht sein Ding, für seinen Geschmack: "Kiki". Die SPD wäre froh, wenn er nicht just zum Abschied sein Inneres nach außen kehrt. Denn das Ergebnis wäre, dass sich Partei und scheidender Chef aneinander abarbeiten würden.

Aufwühlende Tage liegen hinter der SPD. Sie liege "am Rande eines Lochs, die Delegierten entscheiden, wie tief es wird", meint ein Führungsmitglied. Ein Scherbengericht muss nicht sein. Ein falsches Wort nur - die Basis macht reinen Tisch.

Aus der Macht vertrieben

Die Dramaturgie: Erst sollen die 480 Delegierten Trauerarbeit leisten, die Wahlpleite vom 27. September aufarbeiten. Morgen sollen sie dann den Blick nach vorn richten. Ex-Umweltminister Sigmar Gabriel soll sie anführen.

In Erwartung eines besseren Ergebnisses hatte die SPD den Kongress auf den 50. Jahrestag des "Godesberger Programms" gelegt, der für Historiker den Wandel von der Arbeiter- zur Volkspartei markiert. Dagegen wirken die 23 Prozent vom 27. September wie Hohn. Im Osten und Süden Deutschlands wird die SPD dem Anspruch einer Volkspartei seit langem nicht gerecht. Doch erst nach der Vertreibung aus der Macht stellt sie sich dem Vertrauensverlust: Zwei Millionen SPD-Wähler blieben den Urnen fern; eine Million wechselte zur Linkspartei, 1,4 Millionen zu Union und FDP; die Zahl der Wähler halbierte sich seit 1998 auf zehn Millionen.

Zum Sinnbild der Verdrängung wurde der Wahlabend imWilly-Brandt-Haus. Die SPD auf 23 Prozent - und die Claqueure bejubeln den Kandidaten. Eine surreale Szenerie, die zuletzt an der Basis häufig kritisiert wurde.

Steherqualitäten haben sie alle

Nun soll anders werden: Rituale, Inhalte, Struktur, Beteiligung der Mitglieder, Personal. Der Kopf im Hintergrund: Olaf Scholz. Nach der Niederlage verlor er keine Zeit und brachte Andrea Nahles, Sigmar Gabriel und Klaus Wowereit an einen Tisch. Sie sollten die Macht unter sich aufteilen, den Durchmarsch von Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier stoppen, der noch am Wahlabend nach dem Fraktionsvorsitz gegriffen hatte. Vor allem sollte Müntefering die Kontrolle entzogen werden.

Zur Nummer eins wird einer, der "auf jedem Parteitag eins auf die Schnauze gekriegt hat" (Gabriel) und den die Niedersachsen als Ministerpräsidenten abgewählt haben. Auf dem Tiefpunkt seiner Karriere war er "Siggi Pop", der Popbeauftragte der SPD. Indes, Steherqualitäten haben sie alle. Nahles, die Generalsekretärin werden soll, wurde 2002 aus dem Bundestag abgewählt. Drei Jahre später war sie in der SPD unten durch, weil sie in einem Streit Münteferings Rücktritt provozierte. Scholz, der als Vizechef kandidiert, war mal als Schröders Generalsekretär verhasst. Dazu kommt Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, aus Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig, jung, ostdeutsch und ein Aha-Erlebnis im Wahlkampf, sowie NRW Parteichefin Hannelore Kraft. Schon weil sie einen Block von 126 Delegierten stellt und im Mai eine Wahl zu bestehen hat, nimmt ihre Bedeutung zu.

"Katastrophaler Zustand"

Den prekärsten Spitzenjob hat dezeit Steinmeier. Auf den Konferenzen, in denen sich Nahles und Gabriel zuletzt der SPD-Basis stellten, haben sich mehr Genossen an ihm als an Müntefering abgearbeitet. Er hat die Sorge, dass die SPD sich in die Tasche lügt, frei nach dem Motto "nach links rücken und alles wird gut". Es gibt die Tendenz, die Misere an der Rente mit 67 (und damit an Müntefering) festzumachen, die von Wählern "nicht akzeptiert" wurde, wie es im Leitantrag heißt, ein Kompromisspapier.

Gabriel weiß seit langem, dass die Partei "fertig ist"; neulich war vom "katastrophalen Zustand" die Rede. Aber er weiß auch, dass zur Aufbauarbeit mehr gehört als die Revision der `Rente mit 67". Ändern muss sich nicht zuletzt der Umgang, nachdem die SPD seit 1991 im Schnitt alle zwei Jahre ihren Parteichef ausgewechselt hat. Die Ironie der Geschichte: Er muss mit Leuten wie Andrea Nahles harmonieren, zu denen er ein Nicht-Verhältnis hatte. Die SPD stellt Gabriel auf die Probe.