Essen. Das Ruhrgebiet kämpft immer noch mit seinem negativen Pott-Image im Ausland. Dennoch fließt hier im Bundesvergleich nur wenig in Forschung und Entwicklung. Ein Preis würdigt zumindest Vorzeigeprojekte

Wer sich mit dem niederländischen Deutschland-Korrespondenten Laurens Boven unterhält, kommt schnell zu der Erkenntnis, dass die Wirtschaftsförderer an der Ruhr noch viel zu tun haben. „Das Ruhrgebiet hat eher ein negatives Image”, sagt der 32-jährige Journalist, der von Berlin aus für Radio Nederland Wereldomroep arbeitet. Immerhin: Boven ist nun für die besondere Lage des Reviers sensibilisiert. Angesichts des tiefgreifenden Strukturwandels zwischen Duisburg und Dortmund wundere er sich, warum in Berlin so viel über Ostdeutschland und vergleichsweise wenig über das Ruhrgebiet diskutiert werde.

Boven war auf Einladung des Initiativkreises Ruhr zu Gast im Revier. Der Initiativkreis – ein Zusammenschluss von 68 bedeutenden Unternehmen, die zusammen bei einem Umsatz von geschätzt 700 Milliarden Euro weltweit etwa 2,5 Millionen Menschen beschäftigen – hat sich zum Ziel gesetzt, den Wandel des Ruhrgebiets voranzutreiben.

"Innovationsstandort Ruhrgebiet hat Nachholbedarf"

Der aktuelle Moderator des Initiativkreises ist Wulf Bernotat, der Vorstandschef des Energiekonzerns Eon. Ausgerechnet bei der Preisverleihung zum „Ruhr 2030 Award”, mit dem der Initiativkreis zukunftsträchtige Projekte aus der Region auszeichnet, benannte Bernotat unverblümt bestehende Versäumnisse. „Trotz aller erreichten Fortschritte hat der Innovationsstandort Ruhrgebiet Nachholbedarf”, kritisierte Bernotat im Erich-Brost-Saal der Essener Zeche Zollverein. Im Ruhrgebiet liege der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung an der gesamten Wirtschaftsleistung nur bei mageren 1,3 Prozent. NRW erreiche immerhin 1,8 Prozent, Deutschland 2,4 Prozent. Die Investitionen müssten im Ruhrgebiet also „deutlich erhöht werden”. Bernotat ließ offen, wen er für die schwache Quote verantwortlich macht. Auch die Energiebranche musste sich in diesem Zusammenhang schon kritische Fragen gefallen lassen.

NRW-Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP) räumte ein, das Land sei von den angestrebten drei Prozent für Forschung und Entwicklung noch weit entfernt. „Zehn bis 15 Jahre werden es noch sein, bis dieses Ziel erreicht ist”, sagte Pinkwart.

"Anderes Bild vom Ruhrgebiet"

Dass sich Investitionen auszahlen, stellen die Gewinner des „Ruhr 2030 Award” unter Beweis. Die Jury entschied sich in diesem Jahr für ein Projekt des Essener Evonik-Konzerns. Am Standort Marl entwickelte das Team von Chemiker Frank Weinelt eine „Fliese von der Rolle”. Der Wandbelag ist leicht wie eine Tapete und robust wie eine Fliese. Das Material ist atmungsaktiv und hat wasserabweisende Eigenschaften. Insbesondere in Duschen und Bädern soll die „Fliese von der Rolle” zum Einsatz kommen.

Zu den nominierten Projekten gehörte auch das Netz von Ladestationen für Elektroautos, das der Essener Energiekonzern RWE derzeit aufbaut. In die engere Auswahl für den „Ruhr 2030 Award” kam auch ein Team um den Dortmunder Maschinenbau-Professor Herbert Funke, das eine beheizbare Kunststoff-Form entwickelte. Ziel ist es hier, industrielle Bauteile wie Windkraftrotoren oder Solarpaneelen energiesparender als bisher zu produzieren.

Ob die Projekte die Auslandskorrespondenten, die zur Zeche Zollverein gereist sind, beeindruckt haben? Pascal Thibaut, Deutschland-Korrespondent von Radio France Internationale, sagt: „Natürlich fährt man mit einem anderen Bild vom Ruhrgebiet nach Hause.” Die Zukunft der Region sieht Thibaut zwar in industriellen Bereichen, „aber nicht unbedingt in der Schwerindustrie”. Mehr Erfolg verspreche insgesamt, auf grüne Industrien zu setzen.