Malmö. Der Moderator des Initiativkreises Ruhr hat eine Vision: Wulf Bernotat plant ein Vorzeigeviertel mit niedrigem Energiebedarf. Im schwedischen Malmö gibt es ein solches Modellprojekt für den Klimaschutz bereits. Bernotat benötigt nun Verbündete, aber er stößt auch auf Gegenwind.

Man mag es als Zeichen verstehen. Die kalte Brise, die quer durch den Öresund nach Schweden ins Hafengebiet von Malmö bläst, lässt Wulf Bernotat frösteln. Nachdenklich steht er da, der Chef des größten deutschen Energiekonzerns Eon. Dann schlägt er den Kragen seines Mantels hoch und marschiert los. Er pfeift auf Gegenwind.

Wulf Bernotat, 61, ist Vorsitzender des Initiativkreises Ruhr. Knapp 60 führende Unternehmen vereint dieses Bündnis, das sich für die Zukunft des Ruhrgebiets einsetzen will. Bernotat sagt, er verstehe sich als Dienstleister der Region, und meint es wörtlich. Eine Modellregion für Energieeffizienz und Klimaschutz will er im Ruhrgebiet erschaffen. Eine Niedrig-Energie-Stadt, ein nahezu Kohlendioxid-freies Musterviertel, das ganz Deutschland zeigen soll, „wie nachhaltiges Wohnen, Arbeiten und Leben aussieht”.

Bernotat will die Kräfte bündeln: das Technologie-Wissen der Ruhr-Unternehmen, die Expertise der Wissenschaftler an den Ruhr-Unis und Instituten. 2010, im Jahr der Kulturhauptstadt Ruhr also, sollen der Vision von der Energie-Exzellenz erste Taten folgen.

Sonne, Wind und Erdwärme

Der
Der "Turning Torso" in Västra Hamnen, Malmö, in Schweden. Mit einer Höhe von 190 Metern und 54 Etagen ist er der höchste Wolkenkratzer Skandinaviens und das zweithöchste Wohngebäude Europas. (Fotos: Jürgen Polzin)

In Malmö, am Südzipfel Schwedens am Fuße der Öresundbrücke, gibt es ein Stadtviertel, das in etwa erahnen lässt, was Bernotat meint. Västra Hamnen (Westhafen) ist ein Vorzeigeviertel, in dem die Bewohner ihren Strom und ihre Wärme zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien beziehen: Sonne, Wind, Erdwärme und Biomasse.

Dort, wo einst Werften verfielen und Arbeitslosigkeit um sich griff, entstanden im Zuge der internationalen Bauausstellung Bo01 im Jahr 2001 zunächst 1000 Wohnungen, futuristisch anmutende Wohnblocks mit Solarzellen an den Fassaden und Kollektoren auf dem Dach. Heute wohnen hier über 4000 Menschen, meist Besserverdienende. Ein Ort wie dieser sei die Antwort auf eine tiefe industrielle Krise, sagt Ilmar Reepalu, der Bürgermeister Malmös. Wie aber lebt es sich in Västra Hamnen, das optisch so viel Ähnlichkeit mit dem Duisburger Innenhafen hat? „Es ist nicht nur Leben, sondern eine Lebenseinstellung”, sagt Bewohner Richard Lehmann, der 2002 ein Appartement bezog. Nicht viel teurer als anderswo sei es hier, sagt er. Aber eben anders.

Alle Busse mit Biogas betrieben

In Västra Hamnen fahren kaum Autos. Man geht zu Fuß, nimmt das Rad. Alle Busse werden mit Biogas betrieben. Gewonnen wird das Gas aus den alltäglichen organischen Abfällen, die über Fallrohre in unterirdische Sammelbehälter und in eine Biogasanlage geleitet werden.

Ein Windrad produziert nahe der Wohnblocks einen Teil des benötigten Stroms. Den Rest der Energie liefern die Fotovoltaikanlagen auf den Gebäuden oder das Biomasse-Kraftwerk am Ufer des Öresunds. Auch die Wärme stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen. Auf 2600 Quadratmetern Kollektorfläche erwärmt die Sonne das Brauchwasser in den Wohnungen. Für Wärme im Winter und Kühle im Sommer sorgt das Grundwasser, das eine Wärmepumpe aus einem Speicher in 90 Metern Tiefe fördert. Kurz gesagt, Västra Hamnen ist der Alptraum der Ölscheichs. Es ist nahezu unabhängig vom Öl.

Wulf Bernotat sucht eine Stadt. Klein sollte sie sein, und sie muss das Ruhrgebiet repäsentieren. Dort will Bernotat zeigen, „was machbar ist in Sachen Energieeffizienz”. Wirtschaftlich, bezahlbar müsse es sein. Und anders als in Västra Hamnen, wo die Häuser aus dem Boden gestampft wurden, müsse der Wandel im Ruhrgebiet an den bestehenden Gebäuden vollzogen werden.

Gegenwind aus dem Initiativkreis erhielt Bernotat. Nicht alle Unternehmen stehen hinter dem Aufruf, die CO2-Emissionen in der Ruhr-Metropole zu verringern. Low Carbon Ruhr heißt das Initiativkreis-Projekt. Dafür will Bernotat kämpfen: „Wir brauchen alle Unternehmen, wir brauchen die Wirtschaftsministerin, wir brauchen den Forschungsminister. Und wir brauchen einen Bürgermeister wie Ilmar Reepalu.”

Zeitplan für Projekt im Revier steht

Am 7. November, wenn sich der Initiativkreis Ruhr trifft, will Wulf Bernotat sein Konzept einer Energie-Musterstadt im Ruhrgebiet vorstellen. Er schlägt eine Ausschreibung vor, will Kriterien ermitteln, nach denen sich Städte bei ihrer Bewerbung richten sollen. Bis Ende des Jahres soll die Vorzeigestadt gefunden sein. Bis März 2010 soll das Projekt „auf die Schiene gesetzt werden”.