Essen. Das Pokern um die Änderung des Atomgesetzes und um mögliche Laufzeitverlängerungen der Kernkraftwerke beginnt. Die Konzerne locken mit zusätzlichen Milliarden für die Staatskasse, Schwarz-Gelb aber fürchtet den Protest der Atomkraftgegner.
Deutschland, nach der Wahl: Der Dax macht einen Hüpfer nach oben, Atomstrom-Anbieter wie RWE und Eon legen zu, die Branche der erneuerbaren Energien verliert. Es ist der Sieg von Union und FDP, der die Börse beflügelt, aber mehr noch die Phantasie der Energiekonzerne. Sie hoffen auf kräftige Gewinne, denn die Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke scheint in greifbare Nähe gerückt. Doch wie und wie schnell der Atomkonsens aus dem Jahr 2000 aufgeschnürt werden kann, ist noch völlig unklar.
Festschreibung neuer Obergrenzen
Fest steht: Wenn die Laufzeiten verlängert werden sollen, muss dazu mit Mehrheit im Bundestag das Atomgesetz geändert werden. Konkret müssen Union und FDP Paragraf 1 a des Atomgesetzes umschreiben. Der legt fest, dass die Betriebsgenehmigungen der Meiler erlöschen, wenn die festgeschriebene Strommenge verbraucht ist.
Atomkraft bremst Kohlekraftwerke
Wenn die Atomkraftwerke in Deutschland länger Strom produzieren dürfen, wird der Bau neuer Kohlekraftwerke unwirtschaftlicher, befürchtet der Aachener Energiegversorger Trianel, der Steinkohlekraftwerke errichten will.
Atom- und Kohlekraftwerke sind direkte Konkurrenten bei der Grundlast – jener gleichbleibenden Strommenge, die täglich rund um die Uhr erzeugt werden muss. Insbesondere der Handel mit CO2-Zertifikaten macht Kohlestrom künftig teurer.
Die Frage ist, auf welches Vorgehen sich die neue Koalition verständigt. Würde etwa Paragraf 1 a des Atomgesetzes ersatzlos gestrichen, dürften die Kraftwerke unbefristet am Netz bleiben. Die Proteste gegen eine Laufzeitverlängerung, die sich bereits jetzt in Opposition und Bevölkerung formieren, sprechen gegen diese Option. Realistischer ist, dass Schwarz-Gelb neue Obergrenzen festschreibt.
Die zweite Frage ist, wie schnell Union und FDP das Atomthema angehen werden. Theoretisch könnte die Änderung des Atomgesetzes noch in der ersten Hälfte des kommenden Jahres umgesetzt werden. Das Gegenargument: Vor der Landtagswahl in NRW im Mai will die neue Bundesregierung keine Konfliktherde. "Die Sozialdemokratie wird den Protest gegen längere Laufzeiten auf die Straße tragen", sagte SPD-Politiker Frank Schwabe, Mitglied im Umweltschuss des Bundestags.
Unternehmenswert wird gesteigert
Klar ist auch: Den Energiekonzernen winken Milliarden. Den Erlös aus der Stromproduktion eines abgeschriebenen Atomkraftwerks schätzen Experten auf eine Million Euro pro Tag. Bei einer Laufzeitverlängerung von zehn Jahren und einem Strompreis von 51 Euro pro Megawattstunde würde Eon 8,3 Milliarden Euro zusätzlich verdienen, RWE 6,1 Milliarden Euro und EnBW 3,8 Milliarden Euro. Das hat die Landesbank Baden-Württemberg errechnet. Hinzu komme die Steigerung des Unternehmenswertes.
Dieses Geld soll die Atomwirtschaft aber nicht umsonst erhalten, beteuern Union und FDP. Die Hälfte der Gewinne der Atomwirtschaft soll im Falle der Laufzeitverlängerung in einen Fonds fließen, aus dem die Erforschung erneuerbarer Energien finanziert wird. Unklar ist, welche Vereinbarung vorschreiben kann, die Gewinne zweckgebunden zu investieren. Möglich ist aber auch, dass die Stromkunden an der Gewinnabschöpfung teilhaben. Die Energiekonzerne könnten dazu verpflichtet werden, günstigere Stromtarife anzubieten.
Taktiererei bestimmt die Debatte
Die Atomwirtschaft lockt mit Geld. RWE-Chef Jürgen Großmann etwa spricht von einem "dicken zweistelligen Prozentsatz" des zusätzlichen Konzerngewinns, der in den Bau neuer Netze für Windparks fließen soll. Wie sehr Taktiererei die Debatte bestimmt, zeigt die bisherige Bilanz des Atomausstiegs. Als er ausgehandelt wurde, liefen 19 Kraftwerke. Abgeschaltet wurden mit Stade und Obrigheim lediglich die beiden kleinsten. In der zurückliegenden Legislaturperiode hätten mit Biblis A und B, Brunsbüttel und Neckarwestheim die vier ältesten Atomkraftwerke vom Netz gehen müssen. Keines wurde abgeschaltet.
Denn geschickt nutzten die Energiekonzerne Freiräume im Gesetz, ließen Kraftwerke zu Wartungszwecken ruhen. Im Atomkonsens ist vereinbart, dass die Betriebsgenehmigungen erlöschen, wenn die genehmigten Stromkontingente verbraucht sind. Diese Reststrommengen werden jedoch nur dann kleiner, wenn tatsächlich Strom produziert wird. Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU), die als neue Bundesumweltministerin im Gespräch ist, ahnt es wohl: "Wir werden mit den Konzernen noch so manche schwierige Frage zu klären haben."