München. Nach einem Streit über die Rechtsanwaltsvergütung im NSU-Prozess haben die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe einen Befangenheitsantrag gegen alle Richter des Strafsenats gestellt. Der Prozess wurde am Dienstag stundenlang unterbrochen. Ob er überhaupt fortgesetzt werden kann, ist offen.
Eigentlich war die aktuelle Verhandlungswoche des NSU-Prozesses straff durchgeplant. Immerhin 20 Zeugen hat das Oberlandesgericht für die drei Prozesstage nach München geladen. Es soll vor allem um die Morde an Mehmet Turgut und Mehmet Kubasik gehen, die mutmaßlich von Mitgliedern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ in den Jahren 2004 und 2006 erschossen wurden. Die Tochter und die Witwe von Kubasik aus Dortmund sind für Mittwoch geladen.
Doch jetzt müssen mindestens einige Zeugen im Fall Turgut umgeladen werden. Die Hauptverhandlung wurde am Morgen des 35. Prozesstages für mehrere Stunden unterbrochen. Am Nachmittag will das Gericht entscheiden, ob der Prozess überhaupt fortgesetzt werden kann.
Zschäpe erklärt kompletten Senat für befangen
Grund für die Verzögerung: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe hatte bereits am Montag ein sogenanntes Ablehnungsgesuch eingereicht. In dem 18-seitigen Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, erklärt sie den gesamtem 6. Strafsenat für befangen und voreingenommen, da er unter anderem ihre Verteidigung „kurz halte“.
Zschäpe bezieht sich dabei auf einen Streit ihres Anwalts Wolfgang Stahl mit dem Gericht. Der Verteidiger, der für seine Arbeit vom Staat bezahlt wird, hatte einen Antrag auf Vorschuss gestellt. Die veranschlagte Summe: 77.000 Euro. Doch der Senat, vertreten durch den für Kostenfragen zuständigen Richter Konstantin Kuchenbauer, lehnte ab und genehmigte nur 5000 Euro.
Zschäpe-Verteidiger Stahl fühlt sich diskriminiert
Stahl und seine beiden Kollegen Anja Sturm und Wolfgang Heer betrachten dies offenkundig als eine Diskriminierung der Verteidigung. „De facto“ führe der geringe Vorschuss den Zweck der Pflichtverteidigung der Mandantin „ad absurdum“, heißt es in dem Schreiben. Ein ordnungsgemäßer Beistand werde so erschwert. Zudem sehen die Anwälte angesichts der niedrigen Zahlung eine berufliche „Existenzgefährdung“ für sich selbst.
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Der zweite Vorwurf der Verteidigung betrifft den Umgang mit Zschäpe selbst. So räumte das Gericht in seiner Begründung des Kostenbeschlusses unter anderem ein, dass der Nachweis der Mittäterschaft Zschäpes bei der NSU-Mordserie schwierig sei. Wörtlich spricht Richter Kuchenbauer von „tatsächlichen Problemen des Tatnachweises“.
OLG München vermittelt unorganisierten Eindruck
Die Verteidiger interpretieren den Begriff „Tatnachweis“ als Vorverurteilung ihrer Mandantin, da damit die Tat an sich als gegeben vorausgesetzt werde. Zschäpes Schuld, argumentieren sie, stehe offenkundig für das Gericht schon fest – weshalb das Verfahren noch ganz neu aufgerollt werden müsse.
Das Oberlandesgericht München vermittelte am Dienstag einen unorganisierten Eindruck. Obwohl das Schreiben Zschäpes bereits am Montagnachmittag bei Gericht einging, war außer den Richtern und der Verteidigung der Hauptangeklagten keiner im Saal informiert. Dennoch verlangte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl von den Prozessbeteiligten eine Stellungnahme dazu, ob die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung über die Befangenheit vorläufig fortgesetzt werden soll.
Bundesanwaltschaft für Fortsetzung des NSU-Prozesses
Während sich die Bundesanwaltschaft und mehrere Nebenklage-Vertreter für eine Fortsetzung aussprachen, machten andere Opferanwälte und Verteidiger geltend, dass sie erst einmal jeder über den Inhalt des Gesuches informiert werden müssten. Götzl unterbrach daraufhin die Hauptverhandlung bis zum Mittag. Bis dahin sollen die Kopien des Befangenheitsantrages allen Beteiligten vorliegen.
Der rechte Terror der NSUDoch auch am Nachmittag wurde die Verhandlung mehrfach vertagt. So kündigte Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer einen zweiten Befangenheitsantrag an. Die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben schloss sich wiederum teilweise dem ersten Antrag an. Die Verhandlung soll am späten Nachmittag fortgesetzt werden.
Laut Strafprozessordnung muss ein anderer Senat des Oberlandesgerichts bis spätestens Donnerstag über das Ablehnungsgesuch von Zschäpe entscheiden. Bereits zu Beginn des NSU-Prozesses im Frühjahr hatte das Oberlandesgericht mehrere Befangenheitsanträge der Verteidigung abgelehnt.