München. Am siebten Verhandlungstag des NSU-Prozesses sagt Holger G. aus. Er hat bereits gestanden, dem Trio eine Waffe überbracht und Personaldokumente überlassen zu haben. Vor Gericht sprach er auch über seine Motive - und entschuldigte sich bei den Familien der Opfer.
Falls noch Restzweifel bestanden hätten, dass niemand diese Frau unterschätzen sollte, dann wären sie an diesem Donnerstagmorgen ausgeräumt. Gerade hat der Vorsitzende Richter Holger G. gefragt, ob Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe seine Freunde gewesen seien. „Ja, wir waren befreundet“, lautet die Antwort. In diesem Moment dreht sich die Frau zum Angeklagten G. um, der hinter ihr schwer ins Mikrofon atmet. Beate Zschäpe sieht ihm lange ins Gesicht. Dann dreht sie sich wieder um.
Diese Szene fügt sich ein in das Bild, das die Hauptangeklagte von sich in München immer wieder vermittelt: in einer ähnlichen Situation tags zuvor mit dem Mitangeklagten Carsten S., in ihre prozesstäglich wechselnden Outfits, in ihre Mimik, die zwischen belustigt, gelangweilt und apathisch wechselt. Sie will selbstsicher, kontrolliert wirken.
Der rechte Terror der NSUHolger G. ist der Stress dagegen anzumerken. Er wird beschuldigt, mit seiner Hilfe für den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben. Schon in den Vernehmungen hatte er gestanden, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos eine Waffe überbracht und Personaldokumenten überlassen zu haben.
Vom "Nesthäkchen" zum Schulschwänzer
Aber erst einmal geht es um seine Person. Er sei 1974 in Jena geboren worden, sagt er ins Mikrofron, und habe dann die „DDR-Standard-Erziehung“ durchlaufen, von den Jungpionieren bis zur FDJ. Er redet sehr schnell, zu schnell. Von den Bänken der Nebenkläger ruft es, er sei nicht zu verstehen. Mehrfach muss die Verhandlung unterbrochen werden, damit sich Holger G. weiter nach vorne setzen und ein anderes Mikrofon bekommen kann.
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Der Angeklagte holt weit aus, berichtet vom Vater, den er kaum kannte, dem Stiefvater, der früh starb, die Mutter, die ihn zu sehr umsorgte, ihm keine Grenzen setzte, weshalb er, „das Nesthäkchen“, zum Schulschwänzer wurde, und dann in „Subkulturen abtauchte“, „erst als Punk und dann in einer anderen Richtung“.
Kurz vor dem Mauerfall flog G. von der Schule, lernte bei Zeiss Mechaniker, war arbeitslos, schulte um, war wieder arbeitslos und ging dann nach Hannover, wo er als Lagerist arbeitete, Vorarbeiter wurde und in den Betriebsrat gewählt wurde.
Zwar ist er spielsüchtig, nimmt Drogen und ist immer noch mit Neonazis unterwegs. Doch spätestens ab 2007 führte er das, was er „früher ein Spießerleben genannt“ habe. Seine Freundin, die er damals kennenlernte, sei der „rettender Anker“ gewesen, „der Hammer, die Frau“.
G. hatte in Vernehmungen gelogen
Doch dieses Leben endet im November 2011. G. wird von einem Sondereinsatzkommando verhaftet, sitzt für mehrere Monate in Untersuchungshaft, kommt danach ins Zeugenschutzprogramm, lebt von Hartz IV.
Der Grund dafür sind „die Drei“, die er damals nach der Wende in Jena kennenlernte. Besonders die damalige Freundschaft „zu den beiden Uwes“ habe er als Auszeichnung empfunden, erzählt er, sie habe ihn sozial aufgewertet. „Ich fühlte mich in der Gegenwart der Uwes sicher."
Der Angeklagte liest jetzt die Sätze ab, so wie alle Aussagen, die nicht sein Privatleben betreffen. Er hat eine schriftliche Erklärung vorbereitet. Die Verteidigung hat sich wohl für diese Strategie entschieden, damit sich ihr Mandant nicht um Kopf und Kragen redet. Schließlich hatte sich G. in den Vernehmungen, die der Anklage zugrunde liegen, ständig korrigiert, sich selbst widersprochen und auch offensichtlich gelogen.
2004 aus der aktiven Szene ausgestiegen
Die Drei, sagt Holger G. also, habe er Anfang der 1990er Jahre kennen gelernt. „Wir waren Neonazis. Es gab die Prügler, und die, die politisch etwas bewegen wollten. Das waren wir.“ Damals sei die Verpflichtung gewachsen, aus der er 1998, als ihn der Neonazi Andre K. im Auftrag des Trios um Hilfe bat, auch Ja gesagt habe.
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Und er habe sich ihnen gegenüber verpflichtet gefühlt, weshalb er ihnen Führerschein und Pass gab und 3000 D-Mark – und weshalb er ihnen 2001 oder 2002 einen Beutel im Auftrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben nach Zwickau brachte, in dem sich eine Pistole befand.
G. will den Inhalt des Beutels erst auf der Fahrt überprüft haben, woraufhin er, wie er sagt, sehr sauer gewesen sei. Dennoch übergibt er die Waffe, die „einer der Uwes“ gleich mal durchlädt. Und ja, auch „die Beate“ habe dabei gesessen.
2004 jedoch, sagt er, sei er aus der aktiven Szene ausgestiegen. Viele seiner Kollegen waren Ausländer, Türken, Russen „alle total in Ordnung", da habe er seine Haltung überdacht. Den Ausschlag allerdings gibt, dass ein Neonazi-Freund mit seiner damaligen Freundin schläft.
Mischung aus Kuchen und Drohungen
Doch der Pakt mit seinen Freunden Uwe, Uwe und Beate wirkt. Die Drei kommen plötzlich in Hannover vorbei, unangemeldet. Am Anfang ist G. erfreut, er hat das Gefühl, alte Freunde zu treffen, er fühlt sich geehrt. Man zieht zusammen durch die Kneipen, spielt Billard. „Diese Treffen war bis auf die Tatsache, dass ich sie mit Tarnnamen ansprach, vor allem eines: normal.“
Dann, 2011, wollen die Drei auf einmal wieder etwas von ihm. Der alte Pass ist abgelaufen, er soll einen neuen beantragen, mit dem Foto von Mundlos. Deshalb würden sie ihm jetzt die Haare schneiden, dann müsse er den Pass beantragen.
Jetzt aber will G. angeblich nicht mehr mitmachen, doch man nötigt ihn mit einer Mischung aus Zureden und Drohen. Und: „Beate hatte Kuchen gebacken.“
Keine Fragen "zur Sache"
Nie, sagt G., habe er gedacht, dass die Drei noch Straftaten begehen würden. Nie, sagt er, habe er gemeint, eine Terrorgruppe zu unterstützen. Nie, sagt er, habe er sich in seinen „schlimmsten Träumen“ diese Verbrechen vorgestellt.
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Wirklich nie? Die Frage würde ihm jetzt sicher nicht nur der Richter gerne stellen. Doch das geht nicht. Sein Mandant werde zu diesem Zeitpunkt keine Fragen „zur Sache“ beantworten, sagt der Verteidiger von G..
Immerhin, der Angeklagte spricht den Angehörigen der Opfer sein „tiefempfundenes Mitgefühl“ aus. Er selbst sei angesichts der Verbrechen „entsetzt“, wolle „Verantwortung übernehmen“ – aber eben nicht dafür, bewusst eine Terrorgruppe unterstützt zu haben. Er habe, sagt er, bis zum November 2011 „keine Kenntnis der Taten“ besessen – so wie im Übrigen auch „alle geheimen und nicht geheimen Behörden“.