Berlin. Piratenalarm! Wie aus dem Nichts kletterte die Internetpartei die Umfrageleiter nach oben. Und enterte schließlich am 18. September mit 8,9 Prozent das Berliner Abgeordnetenhaus. Der Berliner Erfolg gab den Piraten bundesweit starken Auftrieb.

Im Spätsommer dieses Jahres erging es der deutschen Politik wie so mancher Schiffsbesatzung vor dem Horn von Afrika: Piratenalarm! Wie aus dem Nichts kletterte die Internetpartei die Umfrageleiter nach oben. Und enterte schließlich am 18. September mit 8,9 Prozent das Berliner Abgeordnetenhaus. Ob die Sturmphase im nächsten Jahr anhält, ist jedoch alles andere als sicher.

Der Wahlerfolg von Berlin war noch im Sommer kaum vorherzusehen. In den sechs vorangegangenen Landtagswahlen des "Superwahljahrs" 2011 hatte die Partei zusammen nur elf Prozent der Stimmen erzielt. Die besten Ergebnisse mit 2,1 Prozent in Baden-Württemberg und Hamburg lagen nicht einmal in der Nähe der Fünf-Prozent-Hürde. Noch im Juli tauchte die Partei in den Umfragen gar nicht auf.

Starker Auftrieb nach der Berlin-Wahl

Nachdem die von vielen als originell empfundenen Plakate der Piraten jedoch an den Berliner Laternenmasten hingen, ging es Schlag auf Schlag. Am 19. August kam die Partei in einer Infratest-Umfrage auf vier Prozent. Anfang September schaffte sie die erstmals die Fünf-Prozent-Hürde. Wenige Tage vor Wahl war der Einzug ins Abgeordnetenhaus mit Umfragewerten von neun Prozent so gut wie sicher. Das Wahljahr hatte am Schluss noch eine kleine Sensation zu bieten.

Der Berliner Erfolg gab den Piraten bundesweit starken Auftrieb. Innerhalb weniger Wochen stieg die Zahl der Mitglieder um mehr als die Hälfte auf 19.000. Selbst in der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl erreichte die Partei Ende November neun Prozent. Dreimal so viel wie die FDP. Doch das Problem der Piraten: Die nächste Bundestagswahl findet nach heutigem Stand erst im September 2013 statt. Bis dahin kann es mit dem Höhenflug längst vorbei sein.

Inhalte weniger wichtig

Dass dies gut möglich ist, deuten die jüngsten Umfragen bereits an. Bei der Forschungsgruppe Wahlen rutschte die Partei Mitte Dezember auf vier Prozent ab. Dabei hatten die Piraten Anfang Dezember auf ihrem Parteitag in Offenbach versucht, sich inhaltlich neu aufzustellen. Spektakuläre Forderungen waren unter den Beschlüssen der 1.300 Mitglieder: die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, eine Legalisierung aller Drogen, ein Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr, die Begrenzung von Leiharbeit. Ob dieser "Linksruck" bei den Wählern ankommt, ist jedoch fraglich.

Denn momentan werden die Piraten ohnehin nicht wegen der Inhalte gewählt. In einer Forsa-Umfrage für das Magazin "Stern" von Ende Oktober gaben 39 Prozent der Piraten-Sympathisanten an, die Partei als "Denkzettel" für die anderen Parteien, aus Protest oder mangels Vertrauen in die etablierten Parteien zu präferieren. Zudem hoffen sie auf "frischen Wind" in der Politik oder einen neuen Politikstil. Nur elf Prozent sehen eine Übereinstimmung mit Programmen und Inhalten.

Jede Woche ein Skandälchen

Es verwundert nicht, dass der Berliner Landesverband mit seinen 15 Abgeordneten nun vor allem im Fokus der Öffentlichkeit steht. Doch bislang haben die Piraten dort eher mit Pseudo-Skandälchen als mit politischen Initiativen auf sich aufmerksam gemacht. Jüngst war von einer Fraktionsgeschäftsführerin zu lesen, die seltsame esoterische Themen vertritt. Zuvor warnte ein Mitglied vor Erpressungsversuchen eines jungen Computerhackers in den eigenen Reihen.

Vor einigen Wochen schaffte es der Abgeordnete Simon Weiß auf die Titelseite der "Bild"-Zeitung, weil er auf seinem Twitter-Profil ein Foto zeigte, auf dem er ein weißes Pulver schnupfte. "Wir sind es einfach noch nicht gewöhnt, dass jede Handlung und jeder Schritt von uns auf die Goldwaage gelegt wird", sagte die Politische Geschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband, der dapd.

Den Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz treiben jedoch ganz andere Sorgen um. Auf dem Parteitag in Offenbach warnte er offen vor einer Spaltung der Partei. "Die ersten Erfolge sind die Zeit der ersten Fehler - und diese Fehler können eine Partei spalten." Schon mit den Beschlüssen zum bedingungslosen Grundeinkommen könnten einige Mitglieder verprellt worden sein. Auf dem Parteitag standen sich die Befürworter und Gegner recht unversöhnlich gegenüber.

Dass die Piraten aber inzwischen als politische Kraft ernst genommen werden, zeigt auch die Reaktion der etablierten Konkurrenz. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stufte die Piraten zuletzt als "extrem links-alternativ" ein. Für die CSU könne die Piratenpartei nur ein "hart zu bekämpfender Gegner" sein. Die Piraten werden im nächsten Jahr zeigen müssen, ob sie dieses versteckte Lob auch verdienen. (dapd)

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