Guatemala-Stadt. . Die kleine Thelma aus Guatemala wurde auf offener Straße vergewaltigt. Psychologen von Conacmi, der Organsiation, die die WAZ -Leser mit ihren Spenden in diesem Jahr unterstützen, half ihr, zurück ins normale Leben zu finden.

Die Psychologin sagt, Thelma sei „eine Prinzessin“. Ein stolzes Maya-Mädchen, eine starke Persönlichkeit, eine Kämpferin für ihre Kultur. Thelma trägt immer Tracht, diesen farbenfroh gewebten Rock, den ein bunter Stoffgürtel über der geblümten Bluse hält. „Ich würde mich komisch fühlen in euren Sachen.“ In Märchen sind Prinzessinnen so schön wie sie, das Leben von Thelma aber ist nicht das einer Königstochter.

Ihr Vater ist ein Zuckerrohr-Schneider ohne Zuckerrohr. Zwar war er mal so etwas wie der Dorf-Älteste, brachte den Leuten in San Juan Sacatepéquez Lesen und Schreiben bei, ein anerkannter Mann. Doch dann kam jener Tag, an dem alles anders wurde. Juan hat eine Zeitung aufbewahrt, die „Freie Presse“ vom 24. Juni 2008: Auf der Titelseite ist Thelmas Oma zu sehen, sie weint an einem Sarg – sie haben ihren Sohn ermordet, Thelmas Onkel, Juans Bruder. „Ich hatte ihn sehr lieb“, sagt Thelma leise. „43 Personen festgenommen“, meldete „Prensa Libre“ damals, es war ein Fall von Lynchjustiz, wie er auf dem Land noch häufig vorkommt in Guatemala. Warum? Es ist eine komplizierte Geschichte von angeblichem Verrat.

„Ich wusste doch nicht, dass das falsch ist“

Thelmas Familie jedenfalls musste fliehen, Vater, Mutter, vier kleine Mädchen, „wir haben nichts mitgenommen als die nackte Haut“. Sie flohen in die Stadt, wo ihnen jemand ein Haus geliehen hat; es hat Stockflecken und Schimmel an der Wand, aber es ist ein Haus. Das Dach ist offen, vor den Fensterlöchern hängen Tücher, und die Ritzen sind mit der Pappe alter Apfelkartons zugestopft. Sie blicken von hier oben auf ein paar magere Truthähne im Hof, die rostigen Dächer der Nachbarn, auf die zuweilen krachend eine reife Avocado fällt, und auf den Müll dieses Vororts, wo die Armen leben. Beim letzten großen Regen sind weiter unten Hütten abgerutscht, es gab Tote.

Doch dies ist die Zuflucht der Familie, es war ein sicherer Ort – bis die Sache mit Thelma passierte. Ein Mann packte sie beim Spielen auf der Straße, vergewaltigte sie. Der Staatsanwalt verfügte, dass sie danach zu Conacmi kam, der Hilfsorganisation, die sich in Guatemala kümmert um Kinder wie sie, und die wir mit unserer Weihnachts-Spendenaktion unterstützen. Das stolze Maya-Mädchen war ein schwieriges Kind geworden, schlecht in der Schule, aggressiv zu den Geschwistern, ängstlich, ohne Hoffnung und von Albträumen geplagt. „Sie hat so viel geweint“, erinnert sich der Vater.

„Ich war zu traurig, darüber zu reden“, sagt die 13-Jährige heute und malt dabei mit den Händen unablässig Muster auf den Tisch. Als sie schließlich redete, erzählte sie alles: wie sie auch früher schon von Verwandten missbraucht worden war, „ich wusste doch nicht, dass das falsch ist“. Und auch nicht, dass sie nicht schuld daran war. Bei Conacmi brachten sie ihr bei, „mutig zu sein“, dass sie nicht allein ist. Sie holten die Eltern in die Selbsthilfegruppe, damit auch die lernten, mit all dem umzugehen. Und sie gingen mit Thelma zum Prozess. Tapfer sagte sie aus, ihr Peiniger wurde, was in diesem Land selten ist, verurteilt. Die Cousins im Dorf zeigten sie nicht an: „Wir haben abgewogen“, sagt Conacmi-Psychologin Gloria Solares, „hatten Angst um die Unversehrtheit des Kindes.“

Mit dem letzten Rest ihres Ersparten kauften Thelmas Eltern eine Handkurbelmaschine für Eis, das sie an die Kinder verkaufen. An ihrem winzigen Marktstand vor der Fleischerei gibt es auch Gemüse vom Land, „alles frisch“, strahlt Thelma, die hier gern aushilft. Sie geht in die siebte Klasse, eine gute Schülerin, „sie ist wieder ein normales Kind“, freut sich Juan.

Er verschließt jetzt immer die Tür, wenn er fort muss, „die Eltern passen auf uns auf“, sagt Thelma. Von ihrem Gemüsestand aus können sie die Schulmauer sehen. Gloria Solares aber hat an diesem Tag wenig Augen für Brokkoli und duftende Orangen, sie blickt auf Thelmas Beine unter dem bunten Trachtenrock: „Was sind das für offene Stellen?“ Blutige, schorfige Wunden hat das Mädchen da, an den Füßen, an den Knien, „sie muss zum Arzt“, drängt Solares, „sie braucht Medikamente“. Ihre „Prinzessin“ hat eine Pilzinfektion, und sie schlafen doch zu mehreren in einem Bett! Sie muss hier so viel mehr sein als Psychologin.