Palencia/Guatemala. . Vom Vater missbraucht, von einer Tante misshandelt: Die Hilfsorganisation „Conacmi“ gab dem Mädchen neue Kraft. Das Mädchen aus Guatemala hat ein schlimmes Leben hinter sich. Bei der Organisation Conacmi bekam sie Hilfe.

Marleni ist ein leises Mädchen. Als wolle sie mit ihrer Stimme auch sich selbst verstecken. Zu lange hat ihr niemand zugehört, und wenn doch, hat ihr keiner geglaubt. Die 13-Jährige wirkt, als wolle sie immerzu verschwinden, weglaufen vor etwas, dem sie nicht entrinnen kann: „Sie hat ein Leben hinter sich“, sagt ihre Tante.

Das Mädchen Marleni war sechs, als es angefangen hat. „Mi papá“, sagt sie, „hat versucht, mich zu missbrauchen“, dabei hat der Vater es nicht nur versucht. Jahrelang muss es gegangen sein, bis das Kind aus dem guatemaltekischen Hochland bei einer Tante übernachtete und im Schlaf davon redete. Die Verwandte nahm Marleni auf, brachte sie zu Conacmi, der Hilfsorganisation für misshandelte und missbrauchte Kinder in Guatemala-Stadt, die wir gemeinsam mit der Kindernothilfe in diesem Jahr unterstützen.

Und sie brachte sie zur Polizei. „Der Mann hat alles aufgeschrieben und viel Papier gemacht“, sagt Marleni, und das ist schon viel in diesem Land, in dem auch die Justiz zur Korruption neigt und selbst Morde zu 98 Prozent unter den Tisch fallen. „Dabei ist eine Strafverfolgung wichtig für die Heilung“, sagt Conacmi-Direktor Miguel Angel López, in Guatemala aber schwierig. Eine internationale Untersuchung hat unlängst belegt, dass nur 3,75 Prozent aller angezeigten Verbrechen überhaupt verfolgt werden.

Ermittler verlangen Beweise für Gewalt

Die wenigen Gerichte sind überfordert. Zehn Tage dürfen eigentlich nur vergehen zwischen Anzeige und Anhörung, normal ist ein halbes Jahr, und dann noch muss das Kind und nicht der Staatsanwalt beweisen, was passiert ist. Gefordert wird eine Gesundheitsprüfung, sie suchen Spuren sexueller Gewalt, aber das sei „ein Denkfehler“, sagt López: Wer wollte bei einem Kind, das über Jahre seinen Vater im Bett hatte, noch Schrammen oder Blutergüsse finden?

Marleni kam unterernährt zu Conacmi, mit Kopfweh und den typischen Hautflecken, die Mangelerscheinungen machen. Später aber kam sie mit frischen Wunden, neuen Verletzungen, schüchtern zeigt sie die Narben in der braunen Haut. „Die Tante war nicht lieb“, sagt sie heute: Sie ließ das Kind arbeiten, und wenn die Tortillas nicht gerieten, drückte sie Marlenis Hand auf die Herdplatte oder die heißen Maisfladen in ihr Gesicht.

Bis das Mädchen dem Onkel von den wechselnden Liebhabern seiner Frau erzählte – es ist der einzige Moment in Marlenis Geschichte, in dem sie lacht: Sie hat ihrer Peinigerin, die eigentlich eine Retterin sein sollte, eins ausgewischt.

Marleni hat sich gewehrt, zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Therapie bei Conacmi hatte sie stark gemacht, die langen Gespräche mit der Psychologin gaben ihr Mut. Sie kann heute reden. Darüber, wie sie Käse macht in ihrem neuen Zuhause, das sie bei Tante María Cristina fand. Davon, dass sie Lehrerin werden will oder Sekretärin, oder von den Geschichten, die sie sich ausdenkt und zu denen sie Bilder malt.

Aber ihre eigene Geschichte, die wahre, die bringt sie noch immer kaum über die Lippen. Sie macht sie atemlos. Sie führt dazu, dass Marleni die Luft weg bleibt.

Irgendwann flüstert sie deshalb diesen Satz: „Ich will jetzt nicht mehr reden.“ Und man muss sich freuen darüber. Denn früher, bevor sie zu Conacmi kam, hat Marleni nie gesagt, was sie will, und auch nicht, was sie nicht will. „Sie hat vor lauter Angst nicht gesprochen“, sagt die Tante, „und wenn, dann hat man sie kaum gehört.“ Auch geklagt hat Marleni nie, nicht einmal zugegeben, wenn es ihr schlecht ging. Tante María Cristina aber schlug sie nur mit Argumenten: „Du sagst doch Mama zu mir. Seiner Mama sollte man sagen, was los ist.“

Marleni also hat geredet, beim Staatsanwalt und immer wieder vor Gericht, die Menschen von Conacmi stets an ihrer Seite. Vier Stunden dauert der Weg dorthin, wenn die Therapiestunde um neun war, stand sie um vier Uhr auf. Und Marleni, auf diesen kurvigen Bergstraßen, wurde jedes Mal schlecht auf dem Weg in die Stadt. Aber der Vater sitzt jetzt im Gefängnis; der Mann, der nicht nur ein Vergewaltiger ist, sondern „auch ein Räuber“, wie der Onkel behauptet, bekam neun Jahre.

„Paraiso“ ist Marlenis neue Heimat geworden

Die Mutter allerdings wirft ihrer Tochter das vor: Sie habe die Familie auseinander gebracht. Die kleine Schwester im Heim, der Vater im Knast, Marleni fühlt sich schuldig, sagt aber auch: „Ich bin so froh, dass ich bei meiner Tante bin.“ Auf diesem Bauernhof in einem Dorf bei Palencia, das „Paraiso“ heißt, wo es Kühe gibt und eine gemauerte Kochstelle, in deren Fenster die Hühner sitzen. Wo die Cousins Drachen steigen lassen und María Cristina sagt: „Ich wäre traurig, wenn sie wieder gehen müsste.“

Das ist auch Marlenis größte Angst. Dass sie eines Tages doch noch ins Heim muss. Vor allem diese Angst macht, dass ihr die Stimme versagt.