Essen. . NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel im Gespräch mit DerWesten über die Ehec-Krise, die komplizierte Ursachenforschung und warum die BILD-Zeitung schneller war als das staatliche Alarmierungssystem.
NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel im Gespräch mit DerWesten über die Ehec-Krise, die komplizierte Ursachenforschung und warum die BILD-Zeitung schneller war als das staatliche Alarmierungssystem
DerWesten: Gibt es bei Familie Remmel wieder Gemüse auf dem Tisch?
Remmel: Ja. Aber wir achten darauf, dass das Gemüse aus der Region kommt. Das gibt zwar keine 100-prozentige Sicherheit. Aber regionale Vermarktung minimiert das Risiko.
Waren es nun die Sprossen?
Es deutet alles daraufhin. Der Fund einer Packung Sprossen in der Gegend von Bonn war sicherlich ein Durchbruch bei der Ursachenforschung. Bis zu diesem Tag gab es ja nichts anderes als Vermutungen und vermeintliche Indizienketten. Das hätte nicht gereicht, um Vertrauen bei der Bevölkerung wieder herzustellen. Jetzt können wir sagen, dass es die Sprossen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit waren.
Ein Rest-Risiko bleibt?
So ist es.
Bei dem Rest-Risiko für die Bürger soll es bleiben?
Nein, natürlich nicht. Es handelt sich schließlich um eine der schwersten Epidemien in Deutschland seit Jahrzehnten. Wir versuchen jetzt noch die Lieferbeziehung genau zu überprüfen, also wie die Verpackung aus Niedersachsen über welchen Zwischenhändler oder Supermarkt zur Familie nach NRW gekommen ist. Außerdem ist noch offen, wie die Keime auf die Sprossen oder das Saatgut gekommen sind. Wenn wir dies alles aufgeklärt haben, sind wir wieder einen guten Schritt weiter. Aber ob die Sprossen die einzige Ehec-Quelle war, das können wir derzeit noch nicht sagen. Saatgut für Sprossen kommt möglicherweise auch in Betracht.
Sie vermuten mehrere Quellen?
Zumindest wir in NRW haben uns nie an der Ein-Quellen-Debatte beteiligt. Wir haben unsere Arbeit immer danach ausgereichtet, dass es mehrere Quellen geben könnte. Daher betreiben wir neben den Akut-Maßnahmen auch eine landesweite Ursachenforschung. Mehr als 1200 Lebensmittel-, Gemüse und Wasserproben haben wir inzwischen analysiert.
Und das Ergebnis?
Zwei positive Funde, einmal der Fund der Ehec-Erreger auf den Sprossen bei Bonn und einen zweiten Keim-Befall bei Rote-Beete-Sprossen aus den Niederlanden. Hier liegen die endgültigen Ergebnisse aber noch nicht vor. Der aggressive Ehec-Keim mit dem Serotyp O 104 ist es aber nicht.
War die Warnung vor den angeblichen Killer-Gurken ein Fehler?
Die Kritik am Robert-Koch-Institut oder den anderen Bundesbehörden kann ich nicht teilen. Das sind Fachleute, Naturwissenschaftler, Forscher: Von einer Krisen-Kommunikation müssen diese Menschen nicht zwangsläufig eine Ahnung haben. Für diese Art der Kommunikation sind die Ministerien zuständig. Doch Rückendeckung für die Wissenschaftler in der Kommunikation gab es nicht. Das war ein Fehler und wir sehen ja, was daraus geworden ist.
Der Agrarmarkt ist arg gebeutelt worden.
Mir geht es hier jetzt nicht so sehr um die finanziellen Aspekte der Krise. Ich bin als Minister dafür verantwortlich, die Verbraucher zu schützen – nicht einzelne Wirtschaftszweige vor den Verbrauchern. Die Warnungen waren dem Zeitpunkt angemessen und wir in NRW sind ja noch weiter gegangen und haben vor dem Verzehr von Rohkost generell abgeraten. Das war richtig, wie wir jetzt anhand der Sprossenanalyse sehen.
Anfang Mai gab es die ersten Ehec-Fälle, erst sechs Wochen später eine Erklärung. Hätte das nicht schneller passieren können?
Das ist schwierig zu sagen. Die Ehec-Ausbreitung konnte man nicht mit dem Skandal um Dioxin-Eier vergleichen, den wir Anfang des Jahres hatten. Damals konnten wir durch Lieferlisten und Nummerierungen auf den Eiern relativ schnell den Weg des Skandals und die Verbreitung der verunreinigten Eier identifizieren. Bei Ehec war das schwieriger, weil wir zunächst keinen genauen Anhaltspunkt hatten. Aber fest steht, so reibungslos, wie das nun einige Bundesminister in Interviews darstellen, verlief das auch nicht. Der Ehec-Fall muss Konsequenzen haben, keine Frage.
Was heißt das konkret?
Die Alarmierung muss schneller passieren als bisher, der Bund muss schneller die Koordination übernehmen und auch für die Kommunikation seiner nachgeordneten Behörden verantwortlich sein. Und auch bei der Unterrichtung der Länder kann es nicht sein, dass einige Landesminister eher die Medien informieren als ihre Amtskollegen. In einem Fall haben wir von einer Pressekonferenz nur durch eine Agenturmeldung erfahren. Die wichtigen Unterlagen, um in NRW entsprechende Sicherheitsmaßnahmen einleiten zu können, wurden uns angeblich wegen der Vorbereitungsarbeit für die Pressekonferenz erst Stunden später übermittelt. Das darf nicht sein.
Wie haben Sie von der Ehec-Ausbreitung eigentlich erfahren?
Durch die BILD-Zeitung. Es gab Mitte Mai bei uns wie wohl auch bei anderen Landesministerien Anfragen der Regionalredaktionen, ob es ähnlich wie in Hamburg auch bei uns Ehec-Fälle gab. Das war an einem Freitag und wir hatten keine Anhaltspunkte. Danach mussten die Mitarbeiter meines Ministeriums erst einmal kräftig und lange telefonieren. Erst am Tag darauf hatten wir dann die notwendigen Informationen, was in Hamburg gerade passierte.
Aber schon Anfang Mai gab es die ersten Erkrankungen.
Das scheint leider so zu sein. Ich kenne jetzt die genauen Hintergründe nicht. Aber der Meldeweg muss schneller und unbürokratischer gehen. Angeblich sollen die Meldungen ja per Post von Hamburg nach Berlin ins Robert-Koch-Institut unterwegs gewesen sein. Das wäre schon ein starkes Stück in Zeiten des Internets. Hier muss dringend nachgebessert werden.
Und was noch?
Es hat sich gezeigt, dass die Kommunikation zwischen Gesundheits- und Verbraucherschutzministerien des Bundes und der Länder nicht immer reibungslos klappt. In NRW ist das Gott sei Dank nicht der Fall gewesen. Aber wir brauchen auf Bundesebene eine Koordinierungsstelle für den Ernstfall. Es kann nicht sein, dass man bei den Gesundheitsministern unabhängig von den Erkenntnissen der Verbraucherschutzminister arbeitet und kommuniziert – und die anderen, nachgeordneten, Bundesbehörden teilweise auch in einem falsch verstandenen Konkurrenzverhalten arbeiten. Wir brauchen ein Miteinander, keine Rennen, wer der erste ist. Erst spät wurde zudem auf Bundesebene eine Task-Force gegründet. Das können und müssen wir besser hinbekommen.
Die ersten Rufe nach mehr Zentralisierung beim Bund werden laut.
Das halte ich für durchweg falsch. Schon bei den Dioxin-Eiern haben wir gesehen, dass es die Länder waren, die schnell reagierten und die Aufarbeitung des Skandals forciert haben. Von der Bundesregierung war Tage lang nichts zu sehen. Jetzt das gleiche wieder: Es vergingen Tage, bis sich die beiden Bundesminister Bahr und Aigner in das Geschehen einschalteten. Was rauskam, war dann nicht viel – außer einer Sonderkonferenz, die nicht wirklich substantielle Ergebnisse zu Tage brachte.
Das föderale System ist kein Bremsklotz für schnelles Eingreifen?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wie soll Berlin etwa die Entnahme von Lebensmittelproben in Recklinghausen anordnen und überprüfen? Das wäre Wahnsinn. Die Länder haben unter dem Strich gute Arbeit geleistet. Was wir brauchen, ist eine stärkere Professionalisierung im Ernstfall und dazu zählen auch regelmäßige Krisen-Übungen mit Blick auf eine Epidemie wie jetzt bei Ehec, in denen Koordination und Kommunikation der Erkenntnisse trainiert werden. Das gibt es bereits bei der Tierseuchen-Prävention.
Können Sie denn jetzt schon Entwarnung geben?
Nein, das können wir leider nicht. Die Zahl der Erkrankten hat immer noch kein Niveau erreicht, bei dem ich sagen würde, wir haben die Krise überstanden. Es kommen immer noch neue Fälle hinzu. Wir müssen weiter arbeiten und suchen. In NRW werden wir jetzt die Suche nach möglichen Ehec-Erregern erst einmal wie gewohnt weiter betreiben.