Los Angeles. Der Tod von Michael Jackson bestimmt immer noch die Nachrichtenlage in den USA. Allerdings geht der Rummel um den Popstar mittlerweile gut 60 Prozent der Amerikaner auf die Nerven. Jacksons ehemalige Nachbarn befürchten nun, dass die Neverland-Ranch zu einer Kultstätte werden könnte.

„Hebt euch die Tinte für Geschichten auf, die es verdienen.” Christopher Lancette aus Silver Spring bei Washington ist den endlosen Strom aus zügellosen Gerüchten, Halbwahrheiten und schmutzigen privaten Einzelheiten, die seit Michael Jacksons Tod in den US-Medien genüsslich ausgebreitet werden, derart leid, dass er seinem Lokalblatt einen bitterbösen Brief geschrieben hat. Michael Jackson auf allen Kanälen – jede neue, noch so banal anmutende Meldung wird auch elf Tage nach dem Tod des Superstars sensationell hochgepuscht.

60 Prozent sind genervt vom Rummel um den Popstar

Jackson macht Quote, obwohl inzwischen gut 60 Prozent der Amerikaner laut Umfragen Mister Lancettes Meinung teilen und sich zunehmend genervt fühlen. Doch auch die meisten von ihnen räumen wiederum ein, gebannt vor dem Fernseher zu hocken, wenn öffentlich in aller Breite spekuliert wird.

Nahm Jackson sich das Leben, starb er an einer versehentlichen Überdosis Medikamente? War Michaels Doktor ein Scharlatan? War er wirklich der leibliche Vater seiner drei Kinder? Erben sie Millionen oder nur einen Berg Schulden? Wer bekommt das Sorgerecht? Kommt es zur Schlammschlacht? Wo wird Michael beerdigt?

„Alle diese Experten, die vorgeben, alles zu wissen – woher, zum Teufel, kommen alle diese Leute?”, fragte recht barsch Ken Sunshine, ein erfahrener PR-Profi, den die Jackson-Familie angeheuert hat, angesichts der zahllosen angeblichen Jackson-Kenner, die sich auf Amerikas Bildschirmen tummeln.

Klatschbörse Internet

Noch einen Gang höher geschaltet haben die US-Medien im Vergleich zu dem Wirbel, den O.J. Simpsons Mordprozess seinerzeit ausgelöst hatte. Aber im Unterschied zu damals sind Lüge und Wahrheit noch schwerer zu trennen. Gerüchte, über die Klatschbörse Internet lanciert, verwandeln sich blitzschnell in angeblich harte Fakten, „selbst wenn nichts daran stimmt”, klagt Steve Tseckares, Produzent einer Nachrichtensendung im US-Kabelfernsehen. „Selbst den kuriosesten Behauptungen müssen wir nachjagen. Es könnte ja stimmen.”

Jacksons Fans wiederum, die den Tod ihres Idols betrauern und sich dabei auch ein Stück weit selbst clever mit in Szene setzen, glauben ohnehin nur ihre eigenen Wahrheiten. Hunderte harren noch immer vor der „Neverland”-Ranch zwei Autostunden von Los Angeles aus, gehen trotz aller gegenteiligen Beteuerungen davon aus, dass die Pop-Ikone doch demnächst auf einem Fleckchen des Riesengrundstücks zur letzten Ruhe gebettet wird.

Die 14-jährige Belen Morales etwa, die mit ihrem älteren Bruder und dessen Kumpel in einem alten Pickup-Kleinlaster von ihrem Heimatort Lincoln Heights bei Cincinnati fast das ganze Land von Ost nach West bis nach „Neverland” in einer Gewalttour durchquert hatte, glaubt fest daran, „dass sie ihn hierher bringen”. Dann will sie dabei sein.

Auch Jason Osborne (22) will noch möglichst lange vor den schwarzen Toren der Ranch und seinem Meer aus Teddybären, Blumen und schriftlichen Huldigungen ausharren, aus Respekt, wie er gegenüber einem Reporter der „Los Angeles Times” bekundete, aber auch aus pragmatischem Geschäftssinn. Für 15 Dollar verkauft Jason schnell bedruckte weiße T-Shirts mit der Aufschrift: „Ich machte meine Aufwartung in Neverland”. So manchen Anwohner in dem bislang so ruhigen Tal, das nur über eine schmale, kurvenreiche Route überhaupt erreichbar ist, plagt nun die Furcht, dass sich „Neverland” in einen Rummelplatz wie „Graceland”, die letzte Heimstatt Elvis Presleys in Memphis, verwandeln könnte.

Doch der Tross aus Fans, Neugierigen, Journalisten und Nachbarn vor den geschlossenen Toren der Ranch, die Jackson vor vier Jahren bereits verlassen hatte, wird sich bescheiden ausnehmen angesichts des Rummels, der auf Los Angeles zurollt. Nur ein paar tausend nach dem Zufallsprinzip ermittelte Auserwählte werden die Chance haben, die Trauerfeier am Dienstag hautnah in der Staples-Arena, wo Jackson zwei Tage vor seinem Tod noch für sein Londoner Comeback geprobt hatte, und über drei Großbildschirme im benachbarten Nokia-Theater zu verfolgen. Allen anderen rät die lokale Polizei recht nachdrücklich, zu Hause zu bleiben und Fernsehen zu gucken.