Witten. . Elfriede Schumacher (79) und Gertrud Bernd (88) leben als Menschen ohne Handicap mitten unter jenen mit geistiger Behinderung – weil sie es so wollen. Die Seniorinnen schätzen und lieben ihre Mitbewohner. Wegen ihrer Aufrichtigkeit und Offenheit.

Elfriede Schumacher (79) und Gertrud Katharina Bernd (88) wohnen auf dem Christopherus-Hof. Die eine seit 13 Jahren, die andere seit wenigen Wochen. Sie gehören nicht zu den Menschen mit geistiger Behinderung, die hier, in der ländlichen Idylle am Wullener Feld, betreut werden.Und doch leben die beiden Frauen mitten unter ihnen. Ganz selbstverständlich.

Als das Lindenhaus vor rund zwei Monaten eingeweiht wurde, stand das etwa 30 m² große Zimmer mit Bad im Erdgeschoss des frisch renovierten Wirtschaftsgebäudes noch leer. Inzwischen hat Gertrud Bernd, die zuvor in der Alten-WG am Bodenborn in Bommern lebte, sich hier häuslich eingerichtet. Am Adventskranz flackern Kerzen, auf dem Tisch steht eine Schale mit Gebäck. An der Wand neben der Tür hängt ein Foto von der jungen Gertrud. Die 88-Jährige strahlt vor Glück, als sie von ihrem Einzug erzählt: „Als ich in der Tür stand, konnte ich kaum schlucken.“ Es sei ihr großer Wunsch gewesen, hier zu wohnen. Denn verbunden fühlt sie sich der Annener Einrichtung schon seit fast 25 Jahren.

Früher ehrenamtlich auf dem Christopherus-Hof geholfen

Damals begann Gertrud Bernd, ehrenamtlich dort zu arbeiten. „Nach dem Tod meines Mannes wollte ich was Sinnvolles tun“, sagt sie und erinnert sich, erst mal 36 Lichtschalter sauber gemacht zu haben. Später begleitete sie auch Ferienfreizeiten, backte Kuchen fürs Hofcafé.

Aufmerksam geworden war sie damals auf den Hof über ihren Job bei der Kulturgemeinde. Gertrud Bernd, die lange eine Drogerie in Barop führte, saß an der Saalbaukasse, als eine Mitarbeiterin des Christopherus-Hofs Karten für Marcel Marceau kaufen wollte. Der französische Pantomime war als tragikkomischer Clown auf Welttournee. „Er spricht die Sprache, die unsere Leute verstehen“, hatte die Frau gesagt und damit Gertrud Bernds Interesse geweckt. Schnell lernte auch sie die Menschen zu schätzen – „wegen ihrer Aufrichtigkeit“.

"Besser können wir nicht aufgehoben sein"

Elfriede Schumacher zog 1999 auf den Christopherus-Hof. Für ihre 50 Quadratmeter im Ahornhaus zahlt sie Miete, wie sie das bei jeder anderen Wohnung auch tun würde. Nachdem sie eine ähnliche Einrichtung bei Bonn kennengelernt hatte, änderte Elfriede Schumacher ihr Leben komplett. Denn „dass die Menschen mich einfach so annahmen und liebten“, beeindruckte sie schwer. Und sie, die früher im Büro arbeitete und Tennis spielte, merkte: „Es gibt andere Werte im Leben.“

Heute kümmert sich Elfriede Schumacher vor allem um den Hofgarten, veranstaltet Vorleseabende oder übt, wie in diesen Tagen, mit den Betreuten für ein Weihnachtsspiel. Längst ist das Zusammenleben von Behinderten und Nicht-Behinderten für sie Normalität und eine „ganz natürliche Beziehung“. Inklusion, gleichberechtigte Teilhabe - die Forderungen der Vereinten Nationen sind für Elfriede Schumacher keine Zukunftsmusik, sondern Alltag. Besser, sagt sie und Gertrud Bernd nickt zustimmend, „können wir doch gar nicht aufgehoben sein“.