Witten. Die Pflegewissenschaftlerin Prof. Angelika Zegelin von der Uni Witten/Herdecke warnt vor Sprachlosigkeit in der Familie. Nur wer rechtzeitig sage, was er sich für sein Alter vorstelle, könne dies auch realisieren.
Wenn es um die Pflege der Eltern im Alter geht, herrscht in vielen Familien Sprachlosigkeit. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter Studenten der Mathias-Hochschule in Rheine, die Angelika Zegelin, Professorin für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke, gestartet hat. Über mögliche Gründe dafür und Wege aus dem Dilemma sprach mit ihr Claudia Scholz.
Hat Sie dieses Resultat eigentlich überrascht?
Angelika Zegelin: Ja. Ich habe zwar geahnt, dass die Pflege der Eltern im Alter ein Tabuthema ist. Aber dass dieses wichtige Thema in Familien so verdrängt wird, hat mich betroffen gemacht. Ich persönlich hätte Angst davor, zum Spielball des Pflegemarktes zu werden. Deshalb will ich so viel wie möglich vorzeitig regeln.
Warum ist es nicht mehr wie früher selbstverständlich, sich um seine Eltern zu kümmern?
Das hat viele Gründe. Die Kinder wohnen häufig in einer anderen Stadt, die Frauen haben Berufe. Da hat sich die Gesellschaft glücklicherweise geändert. Früher gingen die Frauen automatisch von der Pflege der Kinder zur Pflege der Eltern über. Viele Eltern wollen auch nicht, dass die Kinder sie pflegen. Denn das ist für die Kinder eine ganz einschneidende Aufgabe.
Wie sind Alter und Tod zu Tabuthemen geworden?
Die Menschen wollen sich nicht mit unangenehmen Themen beschäftigen, weil das schmerzhaft ist. Deshalb gehen viele auch nicht zu Vorsorgeuntersuchungen. Man schiebt unangenehme Themen so lange auf wie möglich. Die alten Leute in unserer Umfrage haben gesagt: „Das wird sich schon alles regeln“, und haben gehofft, dass es sich zum Guten regelt. Aber wenn die Kinder dann Entscheidungen treffen müssen, muss das in der Regel schnell passieren. Und wenn in der Familie nicht darüber gesprochen wurde, weiß keiner, was der andere möchte.
Wann sollten Familien denn über die Pflege im Alter sprechen?
So früh wie möglich. Ich bin gerade 60 geworden und in eine seniorengerechte Wohnung gezogen. Im Haus gibt es einen Lift, der mir Mobilität ermöglicht, auch wenn ich nicht mehr Treppen steigen kann. Ich möchte nicht gerne in ein Altenheim. Ich plädiere für so viel Selbstbestimmung wie möglich. Deshalb müssen die Menschen vorplanen. Im hohen Alter wechselt man zum Beispiel nicht so gerne den Wohnort. Wenn die Kinder zu den Eltern sagen, wir können euch zwar nicht bei uns aufnehmen, aber wenn ihr in die Nähe zieht, können wir uns intensiv um euch kümmern, sollte das rechtzeitig geplant werden.
Was bringt die Idee Familienministerin Kristina Schröder (CDU), dass Angehörige ihre Arbeitszeit um die Hälfte reduzieren dürfen und trotzdem 75 Prozent ihres Gehaltes bekommen?
Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, aber es reicht natürlich nicht. Kleine Firmen können sich das nicht leisten und für die Pflege reicht diese Arbeitszeitreduzierung häufig nicht. Früher war die Vereinbarkeit von Arbeit und Kindern schwierig, da hat der Ausbau der Kitas geholfen. Aber das Problem mit der Pflege im Alter ist größer. Da ist viel mehr Unterstützung als bisher für die Betroffenen nötig.