Witten. . Mit einem Leistenbruch begann für Dieter Sowa eine lange Leidenszeit. Nichts ist mehr wie früher, denn Schmerzen bestimmen nun sein Leben. Sogar Freunde haben sich von ihm abgewandt.

Vor anderthalb Jahren war die Welt für Dieter Sowa noch in Ordnung.

Der frühere Lagerist kam mit seiner kleinen Rente in seiner 47-qm-Wohnung zurecht, traf sich mit Freunden, widmete sich leidenschaftlich seinem Hobby, dem Flugzeug-„Spotting“: Von Flughafen-Terrassen aus beobachtete er seltene Flieger mit dem Fernglas, stellte Fotos ins Netz – mehr als 2000 Dias hat er noch und eine ganze Vitrine mit Modellen. Aus und vorbei.

„Seit meiner ersten Leisten-OP ist mein früheres Leben wie abgeschnitten“, sagt der 57-jährige Wittener. Freunde gehen auf Abstand, weil sie seine Krankengeschichte nicht mehr hören können – oder auch einfach nicht glauben wollen. „Ich habe drei Bekannte, die hatten auch mal ‘ne Leisten-OP – die gucken mich an wie ein Auto!“

Mit einem Leistenbruch fing alles an

Mit einer „dicken Beule“ in der Leistengegend fing es an: ein klassischer Leistenbruch. Im Evangelischen Krankenhaus wurde ihm im April 2011 in einer Schlüsselloch-OP mit drei kleinen Zugängen ein Netz zur Stützung des Gewebes eingesetzt. Drei Tage nach der vermeintlichen Routine-Operation hatte er zum ersten Mal diese höllischen Schmerzen. „Als ob man dir ein Messer in den Unterleib rammt“, sagt Dieter Sowa.

Die Schmerzen sind nicht immer gleich stark, aber es reicht eine winzige falsche Bewegung – „und schon geht es wieder los“. Dass er seit der OP auch impotent ist, ist fast noch das geringste Problem. Er leidet an einem zwanghaften Harndrang, muss nachts vier- bis fünfmal raus. Für seinen Urologen hat er ein 24-Stunden-Protokoll geführt: Bis zu 13-mal musste er pinkeln. „Das geht so schnell, ich mach mir manchmal fast in die Hose.“ Schamvolles Erröten kann er sich nicht mehr leisten. Dieter Sowa braucht Hilfe.

Bei der zweiten Leisten-OP, im Dezember im Knappschaftskrankenhaus Langendreer, wurde ihm in offener OP ein Lipom (eine gutartige Fettgeschwulst) entfernt, das in den Leistenkanal gerutscht war. Und ein Nerv wurde gezielt durchtrennt. Am Tag der Entlassung musst er abends wieder als Notfall aufgenommen werden. Die Schmerzen waren wieder da: „Es brennt alles wie Feuer.“ Das nahm ihn so mit, dass er Beruhigungsmittel bekam und zu seinem eigenen Schutz vorübergehend in die Psychiatrie verlegt wurde.

Bei jeder falschen Bewegung kommen die Schmerzen wieder 

Er ließ sich ein drittes Mal an der Leiste operieren. Im April nahmen die Ärzte im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke das in Witten eingesetzte Netz heraus, ersetzten es durch ein anderes. Danach verspürte Dieter Sowa eine leichte Besserung. „Mit dem Harndrang wurde es etwas angenehmer.“

Der stechende Schmerz blieb, bei jeder falschen Bewegung ist er wieder da. Deshalb läuft Dieter Sowa auch nur im Schneckentempo. Und er ist viel zu Fuß unterwegs – um Geld zu sparen. Als er jetzt etwas in Bochum zu erledigen hatte, lief er eine dreiviertel Stunde bis zur Haltestelle der 310 in Papenholz. „Von da aus muss ich nur Preisstufe A bezahlen.“

Schlimmer ist, dass er seit 16 Monaten von Pontius zu Pilatus läuft. Vom Hausarzt zum Urologen, zu anderen Urologen und zurück zum Hausarzt. Er ließ sich in die Röhre schieben und im Marien-Hospital beraten, das jetzt gerade als Hernien-Zentrum (Leistenbrüche) zertifiziert wurde. Viele Ärzte, viele Meinungen. Dieter Sowa fühlte sich immer wieder vertröstet: Das sei der Wundschmerz, das gebe sich, drückende Narben, das könne bei einer Leisten-Operation bis zu einem Jahr dauern . . .

Kein Hinweis auf Behandlungsfehler

Der 57-Jährige sah sich schon als Opfer eines Kunstfehlers, wandte sich auch an seine Krankenkasse. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) ließ Gutachten erstellen: Alle mit dem Ergebnis, es gebe keinen Hinweis auf einen Behandlungsfehler. „Die haben meinen Fall aber nur nach Aktenlage beurteilt“, beklagt Sowa, „die haben mich nicht ein einziges Mal angeschaut.“

Vor ein paar Tagen war er zur Voruntersuchung in der Uniklinik Essen. Dort rät man ihm zu einer weiteren Leisten-OP. Der Leistenkanal, durch den der Samenstrang in der Leistengegend durch die Bauchwand tritt, sei zu eng. Er soll aufgeweitet werden. Diese Auffassung vertritt auch schon seit längerem sein Wittener Hausarzt, auf den er eigentlich große Stücke hält. Auch er rät ihm zu dem Eingriff.

Dieter Sowa kann sich noch nicht zu einem Ja durchringen. Er hat einfach Angst vor einer vierten OP.