Witten. Der eine war Tischler, der andere Journalist, dann wurden sie Lehrer in Witten. Beide lieben ihren neuen Job. Doch es gibt ein großes Aber.

Eigentlich hatte Jonas Zillmann seinen Traumberuf gefunden. Nach dem Abi machte er eine Tischlerlehre, dann seinen Meister, fand einen gutbezahlen Job als Projektleiter. Doch dann sattelte er um und wurde Lehrer. Wenn er vor der Klasse steht, dann hat er das Gefühl, genau das Richtige zu tun. Doch wenn er auf seinen Gehaltszettel schaut, dann kommen ihm Zweifel.

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Dass er einmal mit Leib und Seele Lehrer sein würde, darauf wäre der heute 36-Jährige nach dem Abi niemals gekommen. „Die Schule war nicht so meins“, sagt er schmunzelnd. Seine Einstellung änderte sich, als er nach der Ausbildung für ein halbes Jahr nach Uganda ging, um dort jungen Menschen das Tischlern beizubringen. „Danach war mir klar, ich möchte Handwerk und Pädagogik miteinander verbinden.“

Erste Stelle als Vertretungslehrer in Witten

Doch bis es so weit war, dauerte es noch eine Weile. Mit dem Meisterbrief in der Tasche startete der Wuppertaler zunächst in der Wirtschaft durch. Lange Arbeitstage, immer unter Druck, ein System, das Menschen kaputtmacht, so schildert es Zillmann: „Mir war schnell klar: So will ich nicht arbeiten, das widerspricht allen meinen Werten. Ich halte es für wichtiger, mit Menschen zu arbeiten als mit Geld.“ Deshalb griff er zu, als er das Angebot bekam, als Vertretungslehrer an der Hardenstein-Gesamtschule Technik zu unterrichten.

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Es war ein Sprung ins kalte Wasser. „Kaum hatte ich unterschrieben, da stand ich auch schon vor der Klasse“, sagt er. Pädagogische Kenntnisse: Fehlanzeige. Doch Zillmann fuchste sich rein, hospitierte bei Kollegen und entschied sich schließlich, den offiziellen Seiteneinstieg zu wagen: Noch einmal neun Monate Ausbildung, die sogenannte Pädagogische Einführung (PE). „Das war eine sehr anstrengende Zeit – ich habe mich als Lehrer damals permanent in Frage gestellt.“

Im Werkraum vermittelt Jonas Zillmann den Schülerinnen und Schülern praktische Fähigkeiten und freut sich, wenn sie gerne seinen Unterricht besuchen.
Im Werkraum vermittelt Jonas Zillmann den Schülerinnen und Schülern praktische Fähigkeiten und freut sich, wenn sie gerne seinen Unterricht besuchen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Sechs Jahre ist das her. Längst ist Zillmann in seinem neuen Berufsleben angekommen und mit dem Job mehr als zufrieden. Den Schülerinnen und Schülern etwas vermitteln zu können, den Schwächeren zu zeigen, dass auch sie etwas leisten können, das sei sehr befriedigend. Außerdem schätzt der 36-Jährige, wie gut er als Lehrer Arbeit und Familie unter einen Hut bringen kann und nicht zuletzt die Sicherheit im öffentlichen Dienst.

Journalist sattelte aufs Lehramt um

Die war es, die auch Lazaros Vitkas dazu gebracht hat, sich beruflich noch einmal neu zu orientieren. Wie Zillmann arbeitet er als Seiteneinsteiger an der HSGE. Allerdings kommt der 42-Jährige nicht aus dem Handwerk, sondern hat einen Master in Anglistik und Medienwissenschaften gemacht. „Irgendwas mit Medien“ machen, das war sein Wunsch, und der hat sich erfüllt. Doch die Jobs bei Zeitung und Fernsehen „waren nichts Halbes und nichts Ganzes“. Nachdem Vitkas Sprachkurse an der VHS gegeben hatte, kam die Idee: Werd doch Lehrer. 2018 startete er seine PE, unterrichtet seither Englisch. „Es ist ein guter Job“, sagt er.

Lazaros Vitkas hat zu den Schülerinnen und Schülern der Hardenstein-Gesamtschule einen guten Draht. „Wichtig ist, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnet“, sagt er.
Lazaros Vitkas hat zu den Schülerinnen und Schülern der Hardenstein-Gesamtschule einen guten Draht. „Wichtig ist, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnet“, sagt er. © Vitkas

„Seiteneinsteiger helfen den Schulen dabei, den hohen Lehrerbedarf zu decken und Unterrichtsausfall zu vermeiden“, so schreibt das Schulministerium auf seiner Homepage. Sie seien mit ihrer persönlichen Berufsbiografie vielfach eine Bereicherung für das Schulleben. Das bestätigt auch Schulleiter Holger Jahnke ohne zu zögern. Die Seiteneinsteiger seien eine absolute Bereicherung für das Team und vollwertige Mitglieder des Kollegiums. „Beide machen einen tollen Job“, versichert er. „Ohne sie würde vieles nicht gehen.“

Seiteneinsteiger in Witten

Jonas Zillmann und Lazaros Vitkas sind derzeit nicht die einzigen Seiteneinsteiger, die an Wittener Schulen unterrichten. Außer ihnen gibt es am Berufskolleg einen weiteren Kollegen, der die Pädagogische Einführung (PE) durchlaufen hat und offiziell ein Fach unterrichtet. Das hat die Bezirksregierung auf Anfrage mitgeteilt.

Zwei Seiteneinsteiger sind zudem im Berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst (OBAS) an einer Wittener Gesamtschule. Das heißt, sie durchlaufen ein normales Referendariat mit zwei Fächern, legen anschließend ein Staatsexamen ab und werden dann wie Absolventen eines Lehramtsstudiums beschäftigt, können also auch verbeamtet werden.

Beide Seiteneinsteiger unterrichten mehr als ein Fach

Denn obwohl die zwei jeweils für ein Fach angestellt worden sind, unterrichten sie viel mehr. Beide sind Klassenleiter. Zillmann, selbst Wasserballer, bringt den Kindern das Schwimmen bei – privat hat er die Ausbildung dazu gemacht –, unterrichtet außerdem Wirtschaft bis Klasse 10. Inhaltlich kein Problem für den Handwerksmeister. Vitkas übernimmt praktische Philosophie, Politik und Wirtschaft. Das alles erlaubt der Arbeitgeber, also das Land. Was es nicht erlaubt: Dass PE-Lehrer die Weiterbildung machen dürfen, um das zweite Fach offiziell unterrichten zu dürfen – und dann auch entsprechend bezahlt zu werden.

Interessenten am Seiteneinstieg müsse bewusst sein: Mit dem Unterrichten allein ist es nicht getan, warnt Lazaros Vitkas. Korrekturen, Verwaltungsaufgaben, Konzepte schreiben: „Es läuft viel noch nebenbei“, sagt er.
Interessenten am Seiteneinstieg müsse bewusst sein: Mit dem Unterrichten allein ist es nicht getan, warnt Lazaros Vitkas. Korrekturen, Verwaltungsaufgaben, Konzepte schreiben: „Es läuft viel noch nebenbei“, sagt er. © Vitkas

Seiteneinsteiger, die offiziell nur ein Fach unterrichten, werden in der Gehaltstabelle deutlich niedriger eingruppiert als ihre Kollegen, die die reguläre Lehrerausbildung durchlaufen haben. Von 800 Euro netto im Monat spricht Zillmann. „Ich fühle mich als Lehrer dritter Klasse.“ Zudem hätten PE-ler praktisch keine Möglichkeiten, sich weiterzubilden oder aufzusteigen. Zur Begründung wird bei ihm, dem Tischler, der fehlende akademische Abschluss angeführt, der Meister zählt nicht wie ein Master. Vitkas hat den Uni-Abschluss, doch der gilt weniger als der eines Lehrers. „Dabei bin ich in Anglistik besser ausgebildet als manche meiner Kollegen.“

Viel Wertschätzung durch Kollegen und Schüler

Die Wertschätzung, die das Land ihnen verwehrt, finden die beiden PE-ler an der Hardenstein-Gesamtschule. „Weder Schüler noch Kollegen lassen uns spüren, dass wir weniger wert wären“, so Zillmann. Deswegen überwiege für ihn noch immer das Positive: „Es ist die wertvollste Arbeit, die man machen kann“, sagt er. „Das Gesamtpaket stimmt für mich.“

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Da stimmt sein Englisch-Kollege zu: „Es macht Bock, Lehrer zu sein“, sagt Vitkas. Ob er den Seiteneinstieg auch anderen empfehlen würde? „Wenn sie gut organisiert sind und gut planen können, dann ja“, sagt er. Doch jedem Interessenten müsse klar sein: Mit dem Unterricht allein ist es nicht getan. „Da gibt’s noch jede Menge Arbeit nebenher.“