Witten. Ist das Kind am Wochenende krank, wählen Eltern oft die Notaufnahme im Marien-Hospital. Wie ein Wittener Arzt das beurteilt und was er rät.

Die Notaufnahmen in Deutschland stehen unter Druck: Zu wenig Personal, zu viele Fälle. Eltern, die ohne akuten Bedarf zum Notdienst gehen, sollen deshalb aus Sicht von Kinderärzten eine Gebühr zahlen. Dieser Vorschlag des Präsidenten des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, stößt in Witten auf wenig Gegenliebe.

Die Notfallversorgung müsse auf Notfälle konzentriert werden, sagte Fischbach der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Und nicht für die Pickel am Po der Kinder, für die die Eltern unter der Woche keine Zeit haben und mit denen man dann am Wochenende beim Notdienst aufschlägt.“ Doch eine Pflichtgebühr würde die Situation nicht lösen, positioniert sich Dr. Bahman Gharavi vom Marien-Hospital.

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Eltern fehlt heute das Wissen über Krankheiten

Denn der Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik sieht die Ursache für überlaufene Ambulanzen an ganz anderer Stelle: „Für viele Eltern ist es heute schwierig abzuschätzen, ob es notwendig ist, mit dem Kind in die Notfallambulanz zu kommen. Häufig fehlt aufgrund der veränderten Familienstrukturen das Wissen über Erkrankungen und deren Verlauf.“ Denn in Großfamilien seien diese Erfahrungen früher weitergeben worden. Heute könnten Eltern oft auf dieses Wissen nicht zurückgreifen. So komme es zu der Entscheidung, in die Notfallambulanz zu fahren, obwohl dies eventuell nicht nötig gewesen wäre.

Dr. Bahman Gharavi, Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik am Marien-Hospital Witten.
Dr. Bahman Gharavi, Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik am Marien-Hospital Witten. © Marien Hospital

Und dann gibt es da auch noch Google und Co. „Heute werden Eltern oft durch viele verschiedene Informationen unterschiedlichster Quellen, deren Qualität sie häufig nicht bewerten können, verunsichert“, so Gharavi weiter. Meist beschäftigen sich die Erwachsenen auch erst mit Krankheiten und Symptomen, wenn sie „bereits in einer Ausnahmesituation sind“. Am anderen Ende der Skala erlebt der Mediziner aber auch, dass Eltern zu lange warten, bis sie mit ihrem Kind in die Klinik kommen.

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Grundsätzlich werde in der Notfallambulanz jedes Kind behandelt, das diese aufsuche, versichert der 55-Jährige. Jedoch in der Reihenfolge der Dringlichkeit, also je nach Zustand des Kindes – und eben nicht nach dem Zeitpunkt des Eintreffens. „Wenn die Erkrankung nicht so schwerwiegend ist, warten die Eltern bei einer vollen Notfallambulanz dementsprechend länger.“ Schwierig sei in diesen Situationen dann aber teilweise das fehlende Verständnis für die Wartezeiten.

Wird das eigene Kind außerhalb der Sprechzeiten der Kinderärzte krank, empfiehlt Gharavi zunächst den ärztlichen Notdienst unter 116 117 zu kontaktieren. „In vielen Fällen kann dieser weiterhelfen.“ Wenn dies nicht gelingt, sollten Eltern eine Notfallambulanz aufsuchen. Wichtig sei dann aber die Bereitschaft, dort auch lange zu warten, falls die Erkrankung des Kindes nicht so schwerwiegend ist.

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Hat der Sohn oder die Tochter jedoch starke Schmerzen, deren Ursache unklar ist, hohes Fieber, das nicht gesenkt werden kann oder kann das Kind nicht mehr richtig atmen, ist die Fahrt in die Klinik in jedem Fall angezeigt. Ebenso bei anhaltendem Erbrechen und/oder Durchfall mit der Gefahr auszutrocknen, bei gebrochenen Knochen oder verstauchten Gelenken oder auch bei starken Bauchschmerzen ist das der Fall. Letztere sind häufig schwierig von einer Blinddarmentzündung zu unterscheiden. „Bei einem Zeckenbiss ist es in der Regel nicht notwendig, in eine Notfallambulanz zu kommen. Eine Zecke können Eltern selbst entfernen“, so der Chefarzt.

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