Witten. 160 Menschen haben seit Oktober in Witten die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Dahinter stecken bewegende persönliche Geschichten.
Beharrlich versucht Iyas die Stufen zur Bühne hochzukrabbeln, auf der Wittens Bürgermeister Lars König spricht. Iyas ist mit 13 Monaten der jüngste Spross seiner Familie. Er ist an diesem Tag mit seinen Eltern und seinen Geschwistern ins Foyer der Stadtwerke gekommen. Neben Iyas sind rund 40 weitere neue deutsche Staatsbürger mit ihren Familienangehörigen der Einladung des Bürgermeisters gefolgt, um ihre Einbürgerung zu feiern und die so genannte Schmuckurkunde entgegenzunehmen.
Im Zeitraum seit Oktober 2022 haben in Witten 160 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, gut die Hälfte von ihnen stammt aus dem geschundenen Syrien. „In den letzten Jahren wurden pro Jahr im Schnitt 150 Menschen in Witten eingebürgert, nun sind es bereits in einem halben Jahr so viele“, berichtet Andrea Pfeiffer, Integrationsbeauftragte der Stadt.
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Manche haben lange überlegt, ob sie sich einbürgern lassen wollen
Es ist ein ungezwungener Rahmen, in dem der Einbürgerungsempfang stattfindet. Wittens Bürgermeister Lars König begrüßt die Anwesenden und freut sich über die neuen deutschen Staatsbürger. Im kleinen Iyas, der weiterhin versucht, die Bühne zu erklimmen, sieht König bereits einen potenziellen zukünftigen Bürgermeister. Jedoch muss man mindestens 23 Jahre in Deutschland leben, um ein solches Amt bekleiden zu können. Daher bleibt König gelassen: „Noch verspüre ich keinen Konkurrenzdruck, aber die Ambition wird deutlich.“
Manche haben lange überlegt, ob sie sich einbürgern lassen wollen, andere haben sich so schnell zur Einbürgerung entschlossen, wie es rechtlich möglich ist. Zu denen, die lange überlegt haben, gehört Marina Djordic. Sie wurde 1970 in Bosnien geboren und wuchs dort bei ihrer Großmutter auf, während ihre Eltern in Deutschland arbeiteten und eigentlich in die Heimat zurückkehren wollten. Doch es kam anders und so folgte Marina Djordic im Alter von 16 Jahren ihren Eltern nach Deutschland. Hier beendete sie die Schule und machte sich mit ihrem Mann mit einem Taxi-Unternehmen selbstständig.
Immer integriert gefühlt
Warum erst jetzt die Einbürgerung? „Es bestand nie die Notwendigkeit, ich habe mich immer integriert gefühlt, auch ohne einen deutschen Pass“, erklärt die Mutter von vier Kindern. Trotzdem war es ihr wichtig, dabei zu sein und ihre Urkunde persönlich in Empfang zu nehmen. Dafür nahm sie auch einen echten Termin-Marathon auf sich. Nach einer Hochzeit am Nachmittag und dem Empfang am Abend folgte am Tag drauf die Hochzeit ihres Sohnes.
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Drei Mitarbeiterinnen der Einbürgerungsstelle, die viele der Anwesenden über einen langen Zeitraum begleitet haben, sind ebenfalls vor Ort. Daher kommt es immer wieder zu emotionalen Momenten. Der prägnanteste Aufruf des Abends kommt von Dr. Nino Chikhradze, Vorsitzende des Integrationsrates Witten: „In diesem Land hat man die Möglichkeit, sich zu verwirklichen und ich wünsche Ihnen, dass Sie das schaffen.“
Medizinstudent floh zu Fuß über die Balkanroute
Einer der auf einem guten Weg ist, sich hier zu verwirklichen, ist Ibrahim Alothman. Im Alter von 19 Jahren floh er alleine aus dem syrischen Rakka, das damals vom so genannten Islamischen Staat besetzt war. Nach einer Odyssee über das Mittelmeer und anschließend zu Fuß über die Balkanroute verbrachte der gelernte Krankenpfleger die ersten Jahre in Heidelberg und Freiburg, wo er als OP-Pfleger arbeitete. Vor einem Jahr kam er zum Medizinstudium an die Uni Witten-Herdecke. In perfektem Deutsch schildert er seine Erlebnisse auf der Flucht und berichtet, dass seine Eltern und Geschwister bis heute in Rakka leben und er sie seit seiner Flucht nicht mehr gesehen hat.
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Hier in Witten engagiert er sich im Vorstand des Islamischen Kulturvereins und fungierte kürzlich beim Fastenbrechen als Dolmetscher von Bürgermeister Lars König. Ibrahim Alothman lebt gerne in Witten. Er möchte Chirurg werden und sich dann weltweit engagieren, „insbesondere im globalen Süden, z. B. bei Ärzte ohne Grenzen“, blickt der junge Mann voller Optimismus in die Zukunft.
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