Witten. Das markante Ärztehaus am Rheinischen Esel wächst um das Doppelte. Der Clou: Im Fundament steckt der zermalmte Güterbahnhof Witten-Ost.
Wie keine andere Straße in Witten hat die Pferdebachstraße ihr Gesicht in den letzten Jahren stark verändert. Die Sanierung der Einfallstraße in die City liegt in den letzten Zügen, mit der Radwegbrücke über den Rheinischen Esel hat sie einen markanten Hingucker bekommen. In den letzten Jahren sind an der Straße etliche Gebäude neu entstanden. Eines der architektonisch auffälligsten wächst nun: Das Medizinische Zentrum verdoppelt sich. Ein zweiter Gebäudekomplex entsteht dort, wo sich einst die Verladehalle des Güterbahnhofs Witten-Ost befand.
Das heruntergekommene Gebäude, das als „Lost Place“ eher Jugendliche anzog, ist längst abgerissen. 2019 hatte die Bahnentwicklungsgesellschaft (BEG) die verlotterte Halle nebst einem 4300 Quadratmeter großen Grundstück verkauft. Neuer Eigentümer ist die Investorengesellschaft BWO, an der das Architekturbüro Frielinghaus Schüren beteiligt ist.
Dessen Büroleiter Yeghishe-Armin Guetsoyan kümmert sich aktuell um Vermietung und Bauleitung der Praxis- und Büroflächen. Der geschwungene Neubaukomplex wird sich nahtlos an das bestehende „Medizinzentrum am Rheinischen Esel“ anfügen und in die Westfalenstraße einbiegen. Nur eine schmale Fuge in der geklinkerten Fassade wird später daran erinnern, dass dieser Gebäuderiegel zwei verschiedene Eigentümer und zwei unterschiedliche Baujahre hat.
Einstige Verladehalle landete im Steinbrecher
Vier große Ärztezentren in Witten
Dass sich mehrere Praxen in einem Haus versammeln, es genügend Parkplätze, Aufzüge und eine angegliederte Apotheke gibt, liegt im Trend – und löst das Konzept der einzelnen Arztpraxis immer mehr ab. Vier große Ärztezentren gibt es bereits in Witten: das „CentroVital“ in Annen, das „Rathaus der Medizin“ in Herbede, die „Gemeinschaftspraxis Innere Medizin“ neben dem Evangelischen Krankenhaus und seit Sommer 2016 das „Medizinische Centrum am Rheinischen Esel“.
Größter Mieter in dem Haus an der Pferdebachstraße 16 ist die Dialyse-Praxisklinik zweier Nierenspezialisten. Ferner finden sich dort eine chirurgische, eine urologische und eine Praxis für Physiotherapie. Ergänzt wird das medizinische Angebot durch eine Hautarztpraxis, eine Schmerztherapie, eine allgemeinärztliche Praxisgemeinschaft und ein Sanitätshaus. Auch die „Bären-Apotheke“ hat hier Räume gefunden.
Zur Erinnerung: Ab Sommer 2015 ließ die Essener Investorengruppe Domus GmbH gegenüber der Schlachthofstraße ein Gesundheitszentrum bauen. Kein Jahr später eröffneten dort verschiedene Facharztpraxen, darunter eine große Dialyseklinik, eine Physiotherapiepraxis, eine Apotheke sowie ein Sanitätshaus. Fast zeitgleich zog 2016 Busunternehmer Peter Killer mit seiner Firma „Killer Citybus“ von Wengern auf das ehemalige Bahngelände.
Schon während der Neubau mit seiner markanten Fassade in die Höhe wuchs, stieg auch das Interesse an dem Standort. Architekt Guetsoyan erinnert sich: „Wir hatten das Gebäude eigentlich nur dreigeschossig geplant und haben während der Bauphase noch um ein Gebäude aufgestockt.“ Fast naheliegend, dass ein Anbau folgen sollte. Doch es habe gedauert, bis das Grundstück mit der Verladehalle zum Verkauf stand.
Seit einigen Wochen rollen die Bagger zwischen dem Radweg oberhalb der Westfalenstraße und dem Parkplatz des bereits stehenden Ärztehauses. Gut erkennbar sind zurzeit die Pfahlgründungen auf dem Baufeld. Weil der Boden eine schlechte Tragfähigkeit hat, wurden 400 Stahlpfähle in das Erdreich eingebracht. Auf einer Seite sieht man einen riesigen Berg Erde, die jetzt wieder um die Pfähle verteilt wird.
Und es gibt einen ebenso großen Haufen Schotter. Das Kuriose: Dies sind die Reste der einstigen Verladehalle. Die Hagener Abbruchfirma Ranft hat mit einem riesigen mobilen Brecher Beton und Steine zermalmt. Dieser Schotter bildet den Baugrund für das neue Gebäude. „Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das ideal“, sagt Yeghishe Guetsoyan. Bei den heutigen Baukosten lohne es sich, das abgebrochene Gebäude direkt vor Ort zu verwerten. Über zwölf Millionen investiert das Architekturbüro in das Projekt.
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Der Architekt ist begeistert vom neuen Anblick der Pferdebachstraße, „ein super Aushängeschild für die Stadt“, lobt er. „In der Pferdebachstraße schlägt das medizinische Herz Wittens.“ Dem städtischen Tiefbauamt und der Straßenbaufirma Depenbrock schickt er ein Lob hinterher: Das Nebeneinander von Straßen- und Gebäudeneubau laufe unkompliziert.
Große Radiologie-Praxis zieht ein
Im Mai/Juni 2024 sollen dann beide Medizinzentren wie ein Schiffsbug in die Pferdebachstraße ragen. Ein aufgesetztes Staffelgeschoss verstärkt den Eindruck von einem dort fest gemachten Ozeandampfer. Das Dach wird übrigens mit Photovoltaik eingedeckt – und begrünt.
Unter der Adresse „Pferdebachstraße 16a“ finden sich dann acht Praxen und acht Büroeinheiten. 60 Prozent der Flächen in dem 75 Meter langen Gebäude seien bereits vermietet. Allein eine komplette Etage nimmt eine Radiologie-Praxis ein.
Hinzu kämen Physiotherapeut, Praxen für Logopädie und Ergotherapie. Ein Zahnarzt mit Kieferchirurgie sowie ein Steuerberater haben sich ebenfalls Räume gesichert. Fünf Einheiten, die variabel geschnitten werden können, seien aber noch frei.
Yeghishe Guetsoyan könnte sich als zukünftige Mieter Praxen für Kindermedizin, Augen- oder Frauenheilkunde vorstellen. „Gerne jemand aus dem Medizinbereich. Aber wir sind natürlich nicht abgeneigt, die Büros an andere Branchen zu vermieten.“