Witten. Lockdown und Krankheitswelle bringen das Tanztheater Abrakadabra nicht aus der Erfolgsspur. Das Jugendprojekt aus Witten plant sein Jubiläum.

Als Carolin Buchholz, die neue Leiterin des Evangelischen Jugendreferats in Witten, zum ersten Mal eine Probe des Tanztheaters Abrakadabra besuchte, sagte sie direkt: „Meine Güte, ihr wisst gar nicht, wie gut ihr seid!“ Für Qualität steht das Wittener Kinderprojekt schon immer, selbst im 30. Jahr seines Bestehens. Fast logisch, dass ein solches Angebot auch in Lockdown-Zeiten nicht untergeht. Ein Jahresrückblick.

Gerade klingelt das Telefon bei Abrakadabra-Chefin Julia Kast. Eine Mutter möchte wissen, ob ihre dreijährige Tochter bei der Kindergruppe mitmachen darf. „Wir nehmen alle Kinder auf, aber leider erst ab fünf Jahren“, muss die 55-Jährige ablehnen. Man wundert sich: Die Coronazeit hat so vielen Freizeitprojekten arg zugesetzt. Bei Abrakadabra aber sind die Mitgliederzahlen stabil. Wie erklärt sich das?

„Uns hat die Pandemie auch sehr gefordert, aber sie hat uns noch kreativer gemacht“, sagt die Frau mit dem Kurzhaarschnitt lachend. Statt Training gab es Zoom-Konferenzen, in denen gebastelt oder zu den Spielorten des neuen Stücks geforscht wurde. Ebenfalls online haben sie neue Tänze oder Gedichte gelernt. Zum Frühsommer 2021 wurden zwei große Luftfilter besorgt, damit die Proben schnell wieder starten konnten. Schon war ein neues Stück bühnenreif, das „Gespenst von Canterville“.

Junge Frauen gründen in Witten ein Theater für russlanddeutsche Kinder

Engagieren sich bei Abrakadabra: (v. r.): Natalie Cravo Ferreira, Julia Kast, Elisabeth Hieb und Irene Frank.
Engagieren sich bei Abrakadabra: (v. r.): Natalie Cravo Ferreira, Julia Kast, Elisabeth Hieb und Irene Frank. © Jürgen Theobald

Doch an den Saalbau, den das Tanztheater in den letzten Jahren immer spielend ausverkauft hat, traut sich Julia Kast so schnell nicht mehr heran. „Zweimal hatten wir dort Aufführungen geplant und zweimal musste ich wegen des Lockdowns absagen.“ Ihr neues Stück „Was für ein Märchen“ feierte deswegen am 18. Dezember im Evangelischen Kulturzentrum Oberkrone Premiere. Lieber vorsichtig im Kleinen planen, lautet nun die Devise. Auch diese Show stand auf wackeligen Füßen. So viele Kinder waren erkrankt, „das hätte fast nicht funktioniert“.

Für alle, die Abrakadabra nicht kennen: Das internationale Tanztheater wurde 1993 von Julia Kast und Lisa Hieb gegründet – für russlanddeutsche Kinder. Zu der Zeit kamen etliche Russlanddeutsche nach Deutschland und hatten letztlich die Probleme, die andere Flüchtlingsgruppen heute haben. Auch die ausgebildete Theaterpädagogin Julia Kast und Musikpädagogin Lisa Hieb konnten wegen ihrer geringen Deutschkenntnisse in ihren Berufen nicht arbeiten – und machten ehrenamtlich eine Musiktheatergruppe auf. Die Gruppe wurde bald Teil des Ev. Kirchenkreises Hattingen-Witten.

Unter „Hexen“: eine Szene aus dem neuesten Abrakadabra-Stück „Was für ein Wunder“.
Unter „Hexen“: eine Szene aus dem neuesten Abrakadabra-Stück „Was für ein Wunder“. © Abrakadabra

100 Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 23 Jahren machen bei Abrakadabra mit. Längst haben hier Kinder aus ganz verschiedenen Herkunftsländern ihre Heimat – mit Wurzeln in der Türkei, Marokko, Polen, dem ehemaligen Jugoslawien. Seit diesem Jahr tanzen auch ukrainische Kinder mit. Erstmals hat Julia Kast ihren eisernen Grundsatz gebrochen: „Bei uns müssen alle Deutsch sprechen! Wie sollen sich die verschiedenen Nationalitäten sonst verstehen?“ Allerdings: „Die Kleinen aus der Ukraine verstehen überhaupt nichts. Sie gucken mich mit ihren großen, tränenerfüllten Augen an. Und dann schalte ich doch auf Russisch um.“ Aber letztlich, bei der Aufführung singen und tanzen die kleinen Ukrainerinnen im Takt mit allen anderen.

Große Aufführung zum 30-jährigen Bestehen

Proben in der entwidmeten Kirche

Ganz viel hat Abrakadabra Bernhard Hecker zu verdanken, der vor Kurzem 87-jährig verstorben ist. Der Rentner stieß in der Anfangszeit zufällig zu dem Projekt. Für viele Stücke schrieb er die Texte und dichtete Lieder.

Heimat des Projekts ist die entwidmeten Ev. Kirche Oberkrone (Auferstehungskirche). Seit 2008 betreibt ein Förderverein das Gebäude als Veranstaltungszentrum. Julia Kast und Elisabeth Hieb sind mittlerweile beim Kirchenkreis Hattingen-Witten angestellt, Julia ist dort auch Hausmeisterin.

2023 will Abrakadabra wieder voll durchstarten. Im Januar gibt es noch einmal eine Aufführung von „Was für ein Märchen“. Am 8. Dezember feiert das Tanztheater sein 30-jähriges Bestehen mit einer großen Revue. „Wir haben aus der Corona-Zeit ein so großes Repertoire, das wir noch nicht gezeigt haben“, sagt Kast. „Das halbe Programm steht schon.“ Und fürs 30-Jährige hat sie übrigens ganz optimistisch dann doch den Saalbau gebucht.