Witten. Ein Urgestein der Jugendarbeit in Witten geht in den Ruhestand – allerdings mit etwas Sorge. Warum, das erzählt Hans Werner Ludwig im Interview.

Ein „Berufsjugendlicher“ im besten Sinne: 34 Jahre lang hat Hans Werner Ludwig das Jugendreferat im Evangelischen Kirchenkreis Hattingen-Witten geleitet, war er das Gesicht der Jugendarbeit in der Stadt. Nun geht der 65-Jährige in den Ruhestand. Im Interview erzählt er, wie damals alles begonnen hat, warum eine Hüpfburg für die Arbeit wichtig sein kann – und weshalb er sich auf die viele Freizeit gar nicht so doll freut.

Herr Ludwig, die Kirchen-Karriere war Ihnen eigentlich gar nicht in die Wiege gelegt, oder?

Ludwig: Nein. Ich habe zunächst Datenverarbeitungskaufmann gelernt, in Hagen, wo ich auch geboren bin. Aber mir war schnell klar, dass ich etwas anderes machen will. Weil mir die ehrenamtliche Arbeit in der Suchthilfe so viel Freude bereitet hat, habe ich mich dann in Bielefeld zum Diakon ausbilden lassen. Nach sechs Jahren Gemeindearbeit in Bünde bin ich dann 1988 nach Witten gekommen.

Und zwar gleich als Leiter des Jugendreferats. Wie war das damals aufgestellt?

Eigentlich noch gar nicht. Jugendarbeit fand damals nur in den einzelnen Gemeinden statt. Das Referat war gerade erst beschlossen worden, ein Konzept gab es bis dahin noch nicht. Das Netz und die Strukturen haben wir dann erst aufgebaut. Das war toll. Wir hatten große Freiheiten, konnten was ausprobieren. Und vieles ist gelungen.

Das Projekt „Chor und Quer“ ist später von der Creativen Kirche fortgeführt worden, hier ein Bild aus dem Jahr 2005.
Das Projekt „Chor und Quer“ ist später von der Creativen Kirche fortgeführt worden, hier ein Bild aus dem Jahr 2005. © WAZ | Foto: Werner Liesenhoff

Was denn zum Beispiel?

Ach, da gibt es einiges. Der Indoor-Trödel im Saalbau etwa oder die großen Feste an der Holzkamp-Gesamtschule Mitte der 90er-Jahre. Spektakulär war auch das Format „Chor und Quer“. Da haben rund 100 Sänger und Musiker auf der Bühne gestanden und wir konnten den Saalbau mit Besuchern füllen. Das war schon eine Erfolgsgeschichte, die dann von der Creativen Kirche fortgeführt worden ist. Oder auch das Format „Hoch und Heilig“.

Was verbirgt sich dahinter?

Es war immer mein Credo, dass man Jugendlichen die normalen Gottesdienste kaum zumuten kann. Wir haben daher damals eine Reihe mit Bands, Theaterspiel und Gastrednern entwickelt. Da kamen bis zu 120 Jugendliche. Das Konzept war schließlich so erfolgreich, dass es von den Gemeinden übernommen worden ist. Das kam übrigens öfter vor.

Hat Sie das geärgert?

Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Schließlich konnten wir so viel mehr Jugendliche erreichen. Es war ohnehin nie mein Ansatz, ein fettes Jugendreferat aufzubauen, sondern Hilfestellung für die Gemeinden zu geben. Durch die Ausbildung von Mitarbeitern sowie die Organisation und Koordination gemeindeübergreifender Arbeiten.

Das klingt zunächst dröge – aber dahinter steckt unter anderem auch eine Riesenhüpfburg, oder?

Ja, denn es ging mir immer darum, dass die Angebote der Kirche für Kinder und Jugendliche attraktiv und zeitgemäß sind. Deswegen habe ich dem Kirchenkreis schon bald eine teure Riesenhüpfburg abgequatscht – das war zunächst gar nicht so einfach. Daraus ist dann unser Großspieleverleih entstanden. Mit Rollen- und Riesenrutsche, Bungeetrampolin und Bullenreiten auf der Tigerente. Wir haben rund 30 Geräte. Samt Zelten, Zuckerwatte-Topf – und neuerdings auch einer Fotobox.

Beim Weltkindertag auf der Ruhrstraße kamen die Großspielgeräte wie das Bungee-Trampolin häufig zum Einsatz. – hier ein Foto von 2018.
Beim Weltkindertag auf der Ruhrstraße kamen die Großspielgeräte wie das Bungee-Trampolin häufig zum Einsatz. – hier ein Foto von 2018. © FUNKE Foto Services | Joachim Hänisch

Und die Geräte können sich die Gemeinden ausleihen?

Nicht nur die. Auch Kindergärten und Schulen. Und Privatleute. Gehofft hatte ich anfangs, ich könnte mit dem Verleih an Firmen die Kinder- und Jugendarbeit fett refinanzieren. Nun ja, so hoch sind wir dann doch nicht geflogen. Aber der Verleih „Rent some fun“ hat sich immer gerechnet.

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Wenn Sie zurückblicken: Ist es schwieriger geworden, erfolgreich Jugendarbeit zu machen?

Eigentlich nicht. Wenn es eine gute Idee und attraktive Angebote gibt, dann sind Jugendliche nach wie vor bereit, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Der Schlüssel dazu ist aber immer die direkte Ansprache: „Komm, mach mit, jetzt hauen wir einen raus.“ So hab ich es zumindest immer erlebt. Aber für die Kolleginnen und Kollegen in den Gemeinden ist das täglich Brot natürlich zäher, wir waren mit unseren Projekten ja oft die Rosinen im Kuchen.

Nicht nur am Schreibtisch aktiv: Beim jährlichen Zeltlager musste Hans Werner Ludwig auch körperlich ran.
Nicht nur am Schreibtisch aktiv: Beim jährlichen Zeltlager musste Hans Werner Ludwig auch körperlich ran. © Ludwig

Eine ganz dicke Rosine waren ihre Kinderfreizeiten im Zeltlager in Friesoythe. Und Sie sind selbst bis zuletzt mitgefahren...

Ja, da waren wir manchmal mit bis zu 150 Kindern und einem Team von 20 Mitarbeitern. Das hat zuletzt schon viel Kraft gekostet. Denn wir müssen die Kinder stärker begleiten als früher, sie haben durch die Medialisierung leider viel weniger soziales Miteinander gelernt. Leider bin ich für die Kinder inzwischen eine graue Eminenz, die gesiezt wird. Aber den guten Draht zu den Teamern und Jugendlichen habe ich zum Glück nie verloren.

Nun werden Sie bald verabschiedet. Gibt es etwas, das Sie gerne vorher noch erledigt hätten?

Nein, ich gehe fröhlich. Wir haben gerade auf der Zielgerade noch einiges erfolgreich hinter uns gelassen. Der neue Stellenschlüssel für Jugendreferenten – eine pro 6000 Gemeindeglieder, zuvor waren es 12.000 – ist beschlossen worden ebenso wie die engere Zusammenarbeit der Gemeinden. Auch mit dem Jugendring, der Arbeitsgemeinschaft von Jugendverbänden und -Gruppen, die in Witten tätig sind, haben wir viel erreicht. Das war ja mein zweites Standbein. Damit hab ich mich politisch in der Stadt engagiert, mit allen Themen, die nicht kirchlich waren. Zum Weltkindertag etwa haben wir immer große Veranstaltungen gemacht – die ganze Ruhrstraße hoch bis zum Rathaus.

Verabschiedung mit Gottesdienst

Hans Werner Ludwig wird am Freitag (16.12.) mit einem Gottesdienst in der Martin-Luther-Kirche an der Ardeystraße 138 aus dem Dienst verabschiedet. Die Veranstaltung beginnt um 17 Uhr.

Seine Nachfolgerin hat ihren Dienst bereits angetreten. Die Neue im Amt heißt Carolin Buchholz. Die Gemeindepädagogin ist 26 Jahre alt, stammt aus Norddeutschland und hat bereits zwei Jahre lang den Neuaufbau der anglikanischen Kirche begleitet.

Machen Sie damit im Ruhestand weiter?

Auf keinen Fall, ich mache jetzt einen klaren Cut. Ich habe meiner Frau und den drei Kindern, die längst schon erwachsen sind, lange genug brutal viel zugemutet. Für mich war die Arbeit immer Lebensmittelpunkt. Jetzt wollen wir reisen. Aber mit der ehrenamtlichen Arbeit auf der landeskirchlichen Ebene und im Präsidium des Kirchentags werde ich weitermachen. Denn ein bisschen Sorge habe ich schon: Ich habe nämlich keine Erfahrung damit, wie Freizeit geht.