Witten. Witten gibt immer mehr Geld für die Jugendhilfe aus. 2022 werden es knapp 25 Millionen Euro sein – neun Millionen mehr als 2018. Woran das liegt.
Die Kosten für die Jugendhilfe klettern in Witten immer weiter nach oben. Waren es 2018 noch 15,5 Millionen Euro, die die Stadt für Erziehungshilfen wie die Unterbringung in Pflegefamilien und Heimen ausgegeben hat, sind für das laufende Haushaltsjahr bereits 23 Millionen veranschlagt. Doch auch das wird nicht reichen. Das Jugendamt benötigt zusätzliche 1,8 Millionen, um seine Ausgaben decken zu können.
Hauptgründe für die Kostenexplosion seien einerseits die gestiegen Preise bei externen Anbietern, so Amtsleiterin Corinna Lenhardt. Andererseits ist aber auch die Zahl der betreuten Kinder nach oben gegangen – und gleichzeitig der Unterstützungsaufwand.
Fallzahlen in der Jugendhilfe in Witten sind auf über 1000 gestiegen
In 1063 Fällen leistet das Jugendamt derzeit Hilfe bei der Erziehung. Dazu zählen neben der Unterbringung außerhalb der Familie auch die Unterstützung und Beratung von Familien vor Ort, die „ambulanten“ Hilfen – etwa in Form von Tagesgruppen oder sozialpädagogischer Beratung. 2018 – aus diesem Jahr stammen die letzten uns bekannten Zahlen – hatte das Amt „nur“ 844 junge Menschen unter seinen Fittichen.
„Die steigende Anzahl von Kindern rechtfertigt nicht allein die zusätzlichen Kosten“, sagt Lenhardt. Vielmehr sei es die Intensität der erforderlichen Unterstützung. So beziehe sich die Zahl 1063 nicht auf Kinder, sondern auf die geleistete Hilfe. Soll heißen: Ein Kind, das in einer Pflegefamilie lebt und gleichzeitig durch einen Inklusionsassistenten in der Schule begleitet wird, taucht zweimal in der Statistik auf. Immer häufiger brauchen Familien also mehr als nur eine Art der Unterstützung.
Teure Einzelmaßnahmen lassen Kosten explodieren
Hinzu kommen sehr teure Einzelmaßnahmen. Eine davon ist die gemeinsame Unterbringung von Kindern gemeinsam mit einem oder beiden Elternteilen in einer betreuten Einrichtung. 23 Männer und Frauen aus Witten leben derzeit mit ihrem Kind oder ihren Kindern in einem solchen Heim. „Das ist oft eine gerichtliche Auflage“, erklärt die Jugendamtschefin. Und eine letzte Chance, bevor das Kind aus der Familie geholt wird.
Auch interessant
Diese Einrichtungen seien „massiv teurer“. Zumal die Familien dort mindestens ein halbes Jahr, meist aber deutlich länger wohnen. Überforderte Eltern trainieren dort den Alltag mit Kind, etwa wie man es richtig ernährt und beschäftigt.
Unterbringung von Systemsprengern ist problematisch und teuer
Ein weiterer schwerwiegender Faktor sind die sog. „Systemsprenger“, also Jugendliche, die von den normalen Angeboten der Jugendhilfe nicht mehr erreicht werden können und auch nicht mehr in einem normalen betreuten Wohnen untergebracht werden können. Meist haben diese jungen Menschen vielfache Probleme, oft sind auch Drogen und Kriminalität im Spiel.
Auch interessant
Diese Härtefälle benötigen eine intensive Einzelbetreuung, auch rund um die Uhr. „Für sie finden wir teilweise nur bundesweit eine Einrichtung, die in Frage kommt. Denn es gibt nur sehr wenige von ihnen“, erklärt Corinna Lenhardt. Diese durch die 1:1-Betreuung mit viel Personal ausgestatteten Häuser sind dementsprechend teuer. Es könnten gut 100.000 Euro pro Monat und Jugendlichem fällig werden, so Lenhardt. 23 Kinder und Jugendliche aus Witten sind aktuell in einer solchen intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung.
Mehr Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung
Ein sehr großes Plus verzeichnet das Jugendamt zudem bei den jungen Menschen, die wegen einer bestehenden oder drohenden seelischen Behinderung Hilfe benötigen. 267 sind es aktuell, 2018 waren es nur 149. Dazu zählen etwa Autisten, Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwäche oder mit ADHS. 42 von ihnen werden bereits durch eine Integrationskraft im Schulalltag unterstützt. Diese Zahl werde sich aber nach oben entwickeln, da das Schuljahr gerade erst begonnen hat, so Lenhardt.
Und auch insgesamt rechnet die Jugendamtsleiterin für die Zukunft mit weiter steigenden Fallzahlen. „Darauf lassen die Rückmeldungen schließen, die wir aus Schulen und Kitas bekommen“, sagt die 52-Jährige. Psychische Auffälligkeiten hätten sich verstärkt. Die Zeit der pandemiebedingten Schließungen hat ihre Spuren hinterlassen.