Witten. Für ein Haus in Witten kann man viel Miete verlangen. Jens Wallat stellt es lieber Flüchtlingen zur Verfügung. Denn er will etwas zurückzahlen.

Eigentlich sollte das Einfamilienhaus am Waldrand in Rüdinghausen ab Mai wieder vermietet werden. Ein Interessent war auch schon gefunden. Doch dann entschied sich Eigentümer Jens Wallat doch anders: Er will sein Elternhaus lieber geflüchteten Familien aus der Ukraine zur Verfügung stellen. Er ist überzeugt: Das ist auch im Sinne seines Vaters Adalbert, der Ende Januar verstorben ist – und ebenfalls ein Flüchtling war.

Jens Wallat und sein verstorbener Vater Adalbert im Garten des Hauses am Marderweg.
Jens Wallat und sein verstorbener Vater Adalbert im Garten des Hauses am Marderweg. © Wallat

Wallat ist in Witten geboren und aufgewachsen. Vor 17 Jahren zog der Geschäftsführer einer Fitnessstudio-Kette dann in die Pfalz. Das Reihenendhaus am Marderweg in Rüdinghausen, das Vater Adalbert 1982 selbst gebaut hatte, wurde vermietet. Doch mit den letzten Mietern gab es Ärger. Die hätten alles verkommen lassen, schimpft der 51-Jährige. Nach ihrem Auszug habe er alles renovieren lassen müssen. Innen sind die Arbeiten bereits abgeschlossen, außen sollten sie in den nächsten Wochen laufen, damit pünktlich zur Neuvermietung am 1. Mai alles fertig ist. Doch dann entschied sich Wallat anders: Er will lieber helfen. „Denn die Not der Menschen aus der Ukraine ist so riesig, das macht mich einfach fertig.“

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Wittener war als Kind auf der „Karlsruhe“, als das Schiff versenkt wurde

Ein Apartment in seinem Haus in der Pfalz hat er bereits einer Mutter mit zwei Kindern zur Verfügung gestellt. „Ihr Mann sitzt in Kiew an den Barrikaden. Ich habe ihm versprochen, für seine Familie zu sorgen“, sagt Wallat schlicht. Er will weder Geld noch Beifall dafür. „Ich kann zwar nicht die ganze Welt retten“, sagt er. „Aber es heißt doch: Wer ein Menschenleben rettet, der rettet die ganze Welt.“ Und das sei er seinem Vater schuldig.

Blick ins Familienalbum: Jens Wallat und sein Vater 1982 beim Bau des Hauses im Marderweg.
Blick ins Familienalbum: Jens Wallat und sein Vater 1982 beim Bau des Hauses im Marderweg. © Wallat

Sein Vater Adalbert musste als Kind aus Königsberg flüchten. Er war mit seinen Geschwistern und der Großmutter auf der „Karlsruhe“, als das Schiff im April 1945 von den Russen versenkt wurde. Die ganze Familie kam um, nur Adalbert wurde gerettet. „Ein Matrose hat ihm eine Schwimmweste angezogen und nach Stunden auf einem Wrackteil im Wasser wurde er von einem Minensuchboot gefunden.“ Der Junge kam an der Nordsee in ein Heim, dann in eine Familie. Erst nach fünf Jahren fanden ihn seine Eltern mithilfe des Roten Kreuzes und holten ihn nach Witten, wo sie inzwischen heimisch geworden waren.

Wittener will mit seinem Geld etwas Sinnvolles tun

„Mein Vater hat überlebt, Zuflucht gefunden“, sagt Wallat. „Nun kann ich es zurückzahlen.“ Das meint er wörtlich. Er will nicht nur den Wohnraum gratis zur Verfügung stellen, sondern auch die Kosten für Lebensmittel übernehmen. Wie er das finanzieren will? „Ich bin kein reicher Mann, aber ich habe schon so viel Geld für Mist ausgegeben. Jetzt kann ich das für etwas Sinnvolles tun.“

Zwei (Groß-)Familien will er sein Elternhaus mit den 220 Quadratmetern Grundfläche, drei Bädern und zwei Küchen zur Verfügung stellen. Gerne mit Hunden. „Das bietet sich hier am Waldrand an.“ Das Apartment im Dachgeschoss soll zudem noch eine Außentreppe bekommen, dann könnte es zur Zwischen-Unterkunft für Menschen werden, die rasch Zuflucht brauchen. Jens Wallat hofft, dass die Rüdinghauser für die neuen Anwohner Verständnis haben werden. „Aber wir haben hier tolle Nachbarn. Und sie kannten alle meinen Vater, wissen, wie er war.“

Handwerker dringend benötigt

Fast alles, was Jens Wallat für das Haus braucht, das er den Flüchtlingen zur Verfügung stellen will, hat er schon zusammen. Es fehlen noch ein Bett und ein paar Matratzen.

Wichtiger als das sind ihm aber Handwerker, die nötige Reparaturen am Haus vornehmen, Auffahrt und Garten wieder in Schuss bringen – gegen Bezahlung, offiziell und auf Rechnung. Auch ein Maler und ein Gerüstbauer werden gebraucht sowie eine Metallbaufirma für die Außentreppe zum Dachgeschoss.

Am dringendsten ist aber die Reparatur des Balkons, der hat keins Brüstung mehr und wäre daher für Familien mit Kindern zu gefährlich. Wallat hofft auf kurzfristige Angebote – und darauf in etwa drei Wochen mit der nötigen Renovierung so weit fertig zu sein, dass die Flüchtlinge einziehen können. Weitere Infos gibt es per Mail an j.wallat@gmx.de

Bislang kann sich Wallat über mangelnde Unterstützung jedenfalls nicht beklagen. Über Facebook hatte er erst diese Woche um Einrichtungsspenden für das leerstehende Haus gebeten. Inzwischen hat er (fast) alles beisammen. „Das war der Wahnsinn, ich habe 160 Nachrichten bekommen.“ Eine nagelneue Musterküche, Schlafzimmermöbel, Fernseher, Küchengeräte – alles da. „Und den Rest kauf ich.“ Ein gelernter Schreiner, der selbst von Hartz IV lebt, habe angeboten, Betten zu bauen. „Das ist so toll zu sehen: Das Ruhrgebiet steht Seite an Seite, wenn man Hilfe braucht.“ Von zehn Gefragten würden neun helfen, in der Pfalz höchstens zwei. „Das macht mich so stolz, ein Pottler zu sein“, schwärmt Wallat.

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So stolz soll auch seine Tochter (3) einmal auf ihn sein. „Wenn sie später von der Aktion hört, dann soll sie sagen: Cool Papa, das hast du toll gemacht.“ Und deshalb soll Wallats Ukraine-Hilfe auch keine Eintagsfliege, kein Blitzlicht sein. Er will einen Verein gründen, damit die Flüchtlinge nach dem Krieg wieder die Chance und Mittel bekommen, in ihre Heimat zurückzukehren. Wallat: „Das ist meine Vision.“