Witten. Die Wittener „Spaziergänger“ wollen ihre nächste Versammlung anmelden – und fühlen sich falsch dargestellt. Ein Blick in deren Chatgruppe.

Nach der Berichterstattung über die unangemeldeten „Spaziergänge“ in Witten seit Mitte Dezember, hat sich die lose Gruppierung nun dazu entschlossen, die kommende Demonstration anzumelden. Das geht aus dem Chatverlauf im Messengerdienst Telegram hervor. Auch in Hattingen und Essen waren die letzten „Montagsspaziergänge“ vorab angemeldet worden und standen unter Polizeischutz.

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Zwei Gruppenmitglieder haben sich bereit erklärt, sich namentlich als Versammlungsleiter bei der Polizei registrieren zu lassen. Gerade angesichts der angekündigten Gegendemonstration von „Ennepe-Ruhr stellt sich quer“ erhält dieser Schritt in der Gruppe Zustimmung.

Auch wenn zuvor einer der jetzigen Anmelder die Idee hatte, dass beim kommenden „Spaziergang“ alle Teilnehmenden beten sollten oder zumindest den Anschein erwecken sollten. Denn für kirchliche Prozessionen oder Bittgänge gelten andere Regeln des Versammlungsgesetzes, sie müssen etwa nicht angemeldet und dürfen nicht aufgelöst werden.

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Wittener „Spaziergänger“ wollen nicht mit Rechtsradikalen in einen Topf geworfen werden

Die Gruppenmitglieder empören sich darüber, angeblich mit Rechtsradikalen in einen Topf geworfen zu werden. Richtig ist, dass bei den Wittener „Spaziergängen“ auch mindestens ein Mitglied der NPD mitgelaufen ist. Beobachter aus der linken Szene sprechen von insgesamt zehn Rechtsextremen, die man bei der Demonstration am 20. Dezember erkannt habe. Auch die AfD war mit von der Partie.

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Sich selbst sehen die Gruppenmitglieder als friedliche Freiheitskämpfer. Allerdings ist die Chat-Gruppe ein Sammelsurium von Esoterikern (die nach „erleuchteten Physiotherapeuten“ suchen), Coronaleugnern und Impfgegnern. Es wird nach Ärzten gefragt, die falsche Bescheinigung ausstellen, dass man sich nicht impfen lassen könne, und es werden massenhaft Falschmeldungen mit fragwürdigen Inhalten geteilt.

Chat-Gruppe quillt über vor Falschmeldungen über die Impfungen

Manch einer fabuliert von Leichenbergen, die bald aufgrund der Impfungen zu sehen sein werden. Auch eine Person tummelt sich dort, die fordert, sich Name und Adresse eines Arztes zu notieren, der Kinder gegen das Virus impft. Denn, so wörtlich, „der Tag wird kommen an dem sich derarte...Menschen? vor einem Gericht rechtfertigen müssen und bestraft werden“.

NRW-Innenminister sieht wachsende Radikalisierung

Die Polizei weiß von bislang vier unangemeldeten „Spaziergängen“ in Witten. Die erste kleinere Versammlung gab es am 12. Dezember am Kemnader See. Es folgten Züge durch die Innenstadt am 20. und 27. Dezember sowie am 3. Januar.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich jüngst besorgt über die wachsende Zahl sogenannter „Montagsspaziergänge“ gegen Corona-Schutzmaßnahmen geäußert. Er sieht eine steigende Radikalisierung und die Stimmung werde aggressiver. Auch die Bochumer Polizei rät den Demonstrierenden zur Vorsicht. Personen aus dem rechten Rand würden versuchen, Menschen aus der Mitte für sich zu gewinnen.

Die Gruppe quillt nur so über vor Falschmeldungen über die angeblich tödlichen oder giftigen Impfungen. Auch mindestens ein Video von „Q-Anons News“ wird dort geteilt. QAnon ist eine aus den USA stammende Gruppe, die demokratiefeindliche Verschwörungstheorien im Internet verbreitet. Ein anderes Video trägt den vielsagenden Namen „Der Genozid 2021“ und will ein Film über die „Opfer von Nebenwirkungen der Corona Impfungen“ sein.

+++Alle Entwicklungen rund um das Coronavirus in Witten in unserem lokalen Newsblog+++

Ein anderes zeigt einen Vortrag über „Die kriminelle Impfmafia“. Auch der bekannte Coronaleugner Bodo Schiffmann fehlt nicht, der in seinem Video eine Aussage des US-Virologen Anthony Fauci zu PCR-Tests verdreht.

Am kommenden Montag möchten die hiesigen „Spaziergänger“ nun die angemeldete Demonstration nutzen, um mit Banner, Trommeln, Pfeifen und Musik durch die Innenstadt zu ziehen. Aber, wie es eine Teilnehmerin ausdrückt, natürlich nicht mit „Hottentotten-Musik“, sondern mit etwas Sinnvollem, das zur Situation passe.