Essen. Eine Demo gegen die Corona-Maßnahmen ist am Montag durch Essen gezogen – und trafen auf Anwohner. Eine Reportage von einem „Montagsspaziergang“.
- Erneut hat in Essen eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen stattgefunden
- 350 Teilnehmerinnen zogen am Montag (3. 1.) durch Rüttenscheid und das Südviertel
- Bei vielen Anwohnerinnen und Anwohnern sorgte der sogenannte „Montagsspaziergang“ für Unverständnis
- Lesen Sie in dieser Reportage, was vor Ort passierte
Es ist eine bunt gemischte Truppe, die da vom Rüttenscheider Marktplatz aus loszieht: Familien mit Kind und Hund, Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Schildern und Leuchtketten um den Hals, eine Frau hält eine Fahne mit der Friedenstaube in der Hand, ein Mann trägt wallend Schwarz-Rot-Gold mit der Aufschrift „Einigkeit, Recht, Freiheit“ auf dem Rücken, zwei dunkel gekleidete Männer schauen unter schwarzer Kapuze finster drein, ein Pärchen mittleren Alters hält lächelnd Händchen.
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Polizei Essen geht von 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus
Die Polizei Essen schätzt, dass es circa 350 Menschen sind, die sich an diesem Montagabend auf den Weg machen, um gegen die Corona-Maßnahmen und „für eine freie Impfentscheidung“ zu demonstrieren – einen Aufruf hatte erneut die Partei „Die Basis“ verbreitet, die als Arm der „Querdenken“-Bewegung gilt und das Ende aller Corona-Maßnahmen fordert. Initiiert würden die Veranstaltungen aber nicht von der Partei, heißt es seitens „Der Basis“.
Gegen eine Spaltung der Gesellschaft würden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einstehen, heißt es vor Ort. Immer wieder stimmen sie auf der Route den zum Gassenhauer mutierten Slogan „Frieden. Freiheit. Demokratie“ an, untermalt von Bongo-Getrommel und Trillerpfeifen-Lärm. Als der Demozug in der Hildegardstraße ankommt, brüllt einer: „Wir ham’ die Schnauze voll.“ Einige stimmen ein.
Corona in Essen: „Montagsspaziergang“ regt Anwohnerin auf
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Bei ihrem sogenannten „Montagsspaziergang“ – anders als in vielen anderen deutschen Städten eine angemeldete Veranstaltung – treffen die Demonstranten auf zufällig Anwesende. Und eine Menge Unverständnis. „Ich bin fassungslos, wie man in der heutigen Zeit dagegen sein kann“, sagt die sichtlich aufgebrachte Anwohnerin Sylvia Beyer. „Das regt mich richtig auf. Die nehmen den Leuten die Betten weg, wenn sie sich infizieren. Wo ist denn da die Demokratie den Krebskranken gegenüber?!“
Beyer hat kein Problem damit, mit dieser Meinung namentlich in der Zeitung zu stehen. Andere Anwohner, die in den Straßen der Wohngebiete Zeugen der Demo werden, sind da vorsichtiger und wollen sich offiziell lieber nicht äußern. Sie haben Angst. So wie ein 19-Jähriger, der nach der Arbeit eigentlich nur nach Hause wollte und vorsichtshalber mit FFP2-Maske auf dem Bürgersteig geht: „Ich finde die Corona-Maßnahmen sinnvoll.“
Polizei Essen sperrt wie bei Demos üblich Kreuzungen
Wie bei Demos üblich, sperrt die Polizei auch an diesem Montag Kreuzungen, wenn der Tross diese überquert. An der Brunnenstraße muss deswegen ein Autofahrer halten, der kurzerhand aussteigt und sich auf die Motorhaube setzt. Er verschränkt die Arme und sagt: „Klar, man kann diese und jene Meinung haben. Aber alles in Frage stellen? Wie doof muss man denn eigentlich sein? Ich muss aufpassen, dass ich nicht aggressiv werde.“
Diese Schwelle hatte zuvor ein Mann bereits überschritten, der aus einem Fenster in einem Obergeschoss der Witteringstraße einen Eimer mit Wasser ausgoss, als der Tross vorbeizog. Dabei wurde eine Demoteilnehmerin nass, die nach dem Vorfall sagte: „Asozial ist das.“
Corona in Essen: 25-jähriger WG-Bewohner beobachtet Demo
Einer, der den „Montagsspaziergang“ ganz nüchtern aus vom Gehweg beobachtet, ist Fikret Aslan. Der 25-jährige Student wohnt seit Anfang September in einer WG. Sein Mitbewohner läuft zusammen mit einem Kumpel und den andern Menschen auf der Straße. Fikret Aslan begleitet die Demo aus der Distanz. Er selbst sei geimpft, „man will die Intensivstationen nicht belasten“. In Bezug auf die Corona-Schutzimpfung sagt er über seine Wohngemeinschaft: „Wir sind Mitbewohner, in diesem Punkt gibt es aber Meinungsdiskrepanzen.“
Wenn er politische Talkshows wie Maischberger oder Lanz schaue, müsse sein Mitbewohner da durch. Streit habe es aufgrund der unterschiedlichen Ansichten aber noch nicht gegeben. Da er an diesem Montagabend eh losmusste, habe er beschlossen, sich kurzerhand selbst ein Bild von der Veranstaltung zu machen, bei der sein Mitbewohner mitmacht. „Ich bin einer, der gerne debattiert“, so Aslan.
Durch die Straßen von Südviertel und Rüttenscheid zieht am Montag auch ein Paar, das auf die Frage, warum sie an der Demo teilnehmen, sagt: „Der drohende Impfzwang.“ Es gehe ihnen um Selbstbestimmung, sie selbst seien „impffrei“. Der Mann deutet an, dass er möglicherweise anders über die Impfung denken würde, wenn er 85 Jahre alt sei. Die Frau sagt, sie arbeite als Krankenschwester in verschiedenen Kliniken.
Corona in Essen: Vorwurf, Intensivbetten würden abgebaut
Auch Beobachter Fikret Aslan bekommt Äußerungen wie diese mit. „Ich habe mich schon vor den ganzen Einschränkungen impfen lassen“, sagt der gelernte Erzieher, der im dritten Semester Spanisch und Wirtschaft studiert. Er sagt: „Dann gibt es ja noch Long-Covid. Das verstehen aber viele gar nicht.“ Zu dem auch am Montag oft artikulierten Vorwurf, dass viele Intensivbetten in Deutschland abgebaut wurden, sagt der 25-Jährige: „Das Problem sind nicht die Betten, sondern das Personal. Man kann sich keine Intensivpfleger backen.“
Apropos backen. Kurz bevor die laut Polizei 350 Demonstranten wieder auf dem Rüttenscheider Marktplatz – dem Start- und Zielpunkt – ankommen, sagt Fikret Aslan: „Ich persönlich glaube bei Corona auch eher den Leuten, die sich beruflich in Studien damit beschäftigen, als zum Beispiel Bäckern.“ Er ergänzt: „Ohne denen nahetreten zu wollen.“
Noch ein letztes Mal wird wenig später auf dem Markt „Frieden. Freiheit. Demokratie“ angestimmt, dann löst sich die Veranstaltung auf. Fikret Aslan wiederholt den Slogan, blickt über den Marktplatz und sagt: „Frieden, Freiheit, Demokratie – natürlich gibt es das hier. In anderen Ländern könnte nicht demonstriert werden.“