Castrop-Rauxel. Nur wenige Tage vor der Geburt starb Piet im Bauch seiner Mama. Melissa und Florian Fischer erzählen von dem schmerzhaften Verlust ihres Sohnes.

Warm und gemütlich ist es bei Familie Fischer. Ein kleiner Kaufmannsladen mit Obst und Gemüse aus Holz steht neben der Tür im Wohnzimmer, über dem Sofa hängen Bilder von Melissa und Florian Fischer, Bilder mit kugelrundem Babybauch und Bilder von ihren beiden Kindern. Auf dem großen Esstisch aus massivem Holz brennt eine Kerze. „PIET“ steht senkrecht, in hellblauen Großbuchstaben auf dem cremefarbenen Wachs.

Piet ist ein Sternenkind. Er starb wenige Tage vor der Geburt im Bauch seiner Mutter. Seine Schwester Ennie kennt ihn nur von Bildern. „Für uns ist eine Welt zusammengebrochen“, sagt Florian Fischer mit leiser Stimme und beginnt mit Tränen in den Augen von dem Tag zu erzählen, der ihnen „den Boden unter den Füßen wegriss“.

„Wir dachten, es geht jetzt ganz normal los“

Am 26. Dezember 2015, ein Tag vor dem errechneten Geburtstermin, habe seine Frau einen Blasensprung gehabt. „Wir dachten, es geht jetzt ganz normal los“, erzählt der 31-Jährige. Weil das Köpfchen bei der Untersuchung wenige Tage zuvor noch nicht richtig im Becken gelegen hatte, musste Melissa Fischer liegend mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus transportiert werden – zunächst nichts Ungewöhnliches. Doch dann die schreckliche Nachricht: Beim CTG im Krankenhaus können die Hebammen die Herztöne des Babys nicht finden. Der kleine Piet war zu dem Zeitpunkt bereits seit mehreren Tagen tot.

Melissa und Florian Fischer tragen den Fußabdruck ihres verstorbenen Sohnes als Tattoo auf dem Unterarm.
Melissa und Florian Fischer tragen den Fußabdruck ihres verstorbenen Sohnes als Tattoo auf dem Unterarm. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

„Ich hatte eine Bilderbuchschwangerschaft“, erinnert sich Melissa Fischer. Immer wieder habe sie sich die Frage gestellt: „Hätte ich etwas bemerken müssen?“ Erst ein paar Tage zuvor habe das Paar gemeinsam mit der Familie Weihnachten gefeiert. Freunde und Familienangehörige hätten liebevoll ihren Bauch gestreichelt und „ganz euphorisch“ der bevorstehenden Geburt entgegengefiebert. „Vermutlich war er da schon tot.“ Die Ärzte vermuten, dass Piet etwa drei bis vier Tage zuvor verstorben ist. Die Plazenta, die den ungeborenen Jungen mit Sauerstoff und Nährstoffen hätte versorgen sollen, habe nicht mehr funktioniert. Warum? Das wissen die beiden bis heute nicht. Im Gegenteil: Die Obduktion habe ergeben, dass Piet vollkommen gesund war.

Kein Licht am Ende des Tunnels

Das Paar informiert seinen engsten Familienkreis, Eltern und Geschwister geben den beiden Kraft. Doch für Melissa und Florian Fischer geht der Kampf, gehen die Schmerzen weiter: „Ich musste unseren Sohn ganz normal zur Welt bringen“, erzählt Melissa Fischer. Denn das Risiko, dass bei einem Kaiserschnitt Komplikationen auftreten, wollte das Paar nicht eingehen. „Es war furchtbar“, erinnert sich die 30-Jährige. Sie bekam starke Beruhigungsmittel, die die Geburt ihres toten Sohnes etwas erträglicher machten. Doch es gibt kein Licht am Ende des Tunnels, keinen Schrei, als die Familie es nach zwölf Stunden endlich geschafft hat.

Nur wenige Stunden haben Melissa und Florian Fischer anschließend mit ihrem Sohn. Sie halten ihn im Arm, kuscheln ihn an sich, weinen um ihn. „Wir durften Piet nie kennenlernen“, bedauert das Paar. Die Ärzte hätten ihnen überlassen, wie viel Zeit sie mit Piet verbringen wollen. Irgendwann habe sich ihr Sohn jedoch verändert, Lippen und Fingernägel seien bläulich geworden. „Wir wollten ihn so in Erinnerung behalten“, sagt Melissa Fischer und blickt auf das eingerahmte Handyfoto neben dem Fernseher. Der Moment des Abschieds, der Moment, in dem sie ihren Sohn für immer gehen lassen mussten, sei ihnen jedoch besonders schwergefallen.

Alles war auf die Ankunft von Piet vorbereitet

Danach fällt das Paar in ein tiefes Loch. Die Bestattung musste organisiert, das einzige und letzte Outfit ausgesucht und der kleine Kindersarg bestellt werden. „Ich habe mich überhaupt nicht getraut, die E-Mail mit den Särgen zu öffnen“, so die junge Frau. Nur ganz wenige, zwei oder drei, habe es zur Auswahl gegeben. Kinderbett, Wickeltisch und Hochstuhl – im Haus der Fischers war alles auf die Ankunft von Piet vorbereitet, nicht auf seinen Abschied.

„Nachbarn haben uns angesprochen, weil sie unser Baby nie schreien hörten“, erzählt Melissa Fischer. Einige Freunde und Bekannte seien in Tränen ausgebrochen, als das Paar die furchtbare Nachricht überbringt. Andere wechselten einfach das Thema, ignorierten den schweren Verlust. „Uns war es immer lieber, dass wir darauf angesprochen werden“, ergänzt ihr Mann. Das Paar habe Verständnis, dass nicht jeder weiß, wie er reagieren soll. Dann einfach zu sagen „Mir fehlen die Worte“ sei jedoch in jedem Fall besser als das Thema einfach totzuschweigen.

Wo Eltern Hilfe finden

Selbsthilfegruppen wie das Sternenkinder-Café in Bochum bieten Paaren Unterstützung und helfen, den Verlust ihres Kindes zu verarbeiten. Aber auch Beratungsstellen können betroffenen Eltern helfen, das Erlebte zu akzeptieren und zu lernen, mit den Gefühlen umzugehen.

Informationen und Angebote finden Sie zum Beispiel unter www.bethanien-stiftung.de/angebote/bethanien-sternenkinder oder unter www.lore-agnes-haus.de/beratung/krisenintervention/beratung-nach-fehlgeburt.

In der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Essen wird außerdem eine spezielle Sprechstunde für Frauen und Paare nach mehreren Fehlgeburten angeboten.

Etwa ein Jahr lang ist das Ehepaar in psychologischer Behandlung. Im Sternenkinder-Café in Bochum tauschen sie sich alle zwei Wochen mit anderen betroffenen Müttern und Vätern aus. „Wir haben vorher noch nie etwas von Sternenkindern gehört“, so die gelernte Friseurin. Es gäbe Fotografen, die Bilder von Eltern und ihren verstorbenen Kindern machten. „Davon hätten wir gerne gewusst.“ Neben den wenigen Handybildern ist ein Fußabdruck das einzige, was Melissa und Florian Fischer von ihrem Sohn haben. Und den tragen sie immer bei sich, als Tattoo, gemeinsam mit dem Namen und dem Geburtsdatum von Piet, auf ihrem Unterarm.

„Ennie ist unser kleines Wunder“

Etwa ein halbes Jahr später wird Melissa Fischer wieder schwanger. Doch die unbeschwerte Freude, die die junge Frau bei ihrer ersten Schwangerschaft erlebt hat, gibt es nicht mehr. „Es war die Hölle“, erzählt sie. Immer wieder habe ihr Mann sie gefragt, wann sich das kleine Mädchen zum letzten Mal bewegt hat. „Ich hatte ein richtig schlechtes Gewissen, wenn ich die Frage nicht beantworten konnte.“ Voller Verzweiflung habe sie dann an ihrem Bauch gerüttelt und geschüttelt und sei erst beruhigt gewesen, als das kleine Mädchen ein Lebenszeichen von sich gegeben habe. Eine Woche vor dem Entbindungstermin entscheidet sich das Paar für eine Einleitung. „Wir haben es einfach nicht mehr ausgehalten.“ Doch es geht alles gut. Die kleine Ennie kommt gesund und munter auf die Welt.

Auch interessant

Heute ist Ennie dreieinhalb Jahre alt. Sie weiß, dass sie einen Bruder hat. Ihre Eltern sprechen mit ihr über Piet, zünden gemeinsam mit ihr eine Kerze für ihn an. Auf dem Friedhof, auf dem Piet begraben wurde, hat Ennie Laufen gelernt. Mit ihrer kleinen Gießkanne bewässert sie regelmäßig die Blumen auf seinem Grab. „Ennie ist unser kleines Wunder“, sagt die junge Mutter und lächelt. Ob sich Melissa und Florian Fischer ein weiteres Kind wünschen? „Das ist die Frage, die wir uns schon lange stellen.“ Ein weiteres Kind ja, aber noch einmal eine Schwangerschaft erleben? „Ich weiß nicht, ob ich das will. Wir sind so froh, dass wir Ennie haben“, sagt Melissa Fischer und streichelt ihrer Tochter über das hellblonde Haar. Wie Piet wohl ausgesehen hätte?

Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG