Witten. Alleinerziehend und in Ausbildung – zudem in einer Männerdomäne: Die Geschichte dieser jungen Frauen soll auch anderen Wittenerinnen Mut machen.
Diese beiden jungen Frauen können stolz auf sich sein: Tatjana Schmidt (37) und Desirée Klossowski (23) behaupten sich nicht nur in einer Männerdomäne, sondern wuppen als Alleinerziehende außerdem den Spagat zwischen Beruf und Familie. Um andere Wittenerinnen zu motivieren, sich das auch zu trauen, erzählen sie hier ihre Geschichte. Darin geht es um Mut und Selbstbewusstsein, aber auch um Stress und dumme Sprüche.
Sie sei praktisch in der Garage aufgewachsen, wo sie ihrem Papa nicht nur beim Werkeln zugesehen hat, sondern auch selbst Hand anlegen durfte: Tatjana Schmidt – oder Tanja, wie sie meist genannt wird – stand mit 13 das erste Mal an der Kreissäge, mit 14 bediente sie ein Schweißgerät. „So etwas hat mich immer schon fasziniert“, erzählt die gebürtige Ukrainerin, die mit 15 nach Unna und im Herbst 2017 nach Witten kam. Es dauerte ein Weilchen, bis sie sich endlich entschied, eine Ausbildung zur Industriemechanikerin zu machen.
Nach der Trennung zog Tanja mit den Kindern nach Witten
Das Gymnasium hatte Tanja nach der zehnten Klasse verlassen, um ihr Fachabi in Metalltechnik zu machen. Nebenbei hat sie als Fahrerin gearbeitet und Ware in einem kleinen Lkw von Firma zu Firma transportiert. Irgendwann hat sie den Job hingeschmissen, „weil es nicht mehr passte“. Auch ihre erste Ausbildung zur Feinwerkzeugmechanikerin hat die junge Frau nicht durchgehalten. Ein Mann und zwei Kinder kamen dazwischen.
Nach der Trennung zog sie mit dem Nachwuchs nach Witten, wo ihr Vater lebte. Als Alleinerziehende ohne Ausbildung einen gescheiten Job zu finden – „das ist schwierig“, wie sie schnell merkte. Tanja Schmidt besprach sich mit ihren Töchtern, Vanessa ist heute 14, Lien ist elf Jahre alt. „Soll ich Hartz IV beantragen und zuhause bleiben oder eine Ausbildung machen und arbeiten gehen?“, fragte sie die beiden – und erklärte ihnen auch, was Letzteres bedeutet: Dass sie schnell selbstständig werden und der Mama manches abnehmen müssen.
Einzige Frau in einer Klasse mit 30 Jungs
Trotzdem war die Entscheidung schnell gefallen. Tanja schrieb drei Bewerbungen und konnte im Wittener ZF-Werk beginnen: Drei Tage arbeitete sie dort, zwei Tage besuchte sie das Berufskolleg an der Husemannstraße. Dort drückt auch Desirée Klossowski noch die Schulbank – als einzige Frau in einer Klasse mit rund 30 Jungs. Die 23-Jährige macht eine Ausbildung zur Fachkraft für Küchen-, Möbel- und Umzugsservice – in Selm, wo sie auch wohnt. Doch nur in Münster oder eben Witten boten die Berufskollegs diesen Zweig an.
Soroptimistinnen vergeben Förderpreis
Seit 2019 vergibt der Soroptimistinnen-Club Witten-Herdecke jährlich einen Förderpreis an eine außergewöhnlich erfolgreiche Absolventin des Berufskollegs Witten.
Da Soroptimist International, die größte Serviceorganisation berufstätiger Frauen weltweit, vor genau 100 Jahren in Amerika gegründet wurde, hat der Club in diesem Jahr mit Tatjana Schmidt und Desirée Klossowski zwei Kandidatinnen mit einem Förderpreis von jeweils 500 Euro geehrt.
„Wir hoffen, dass ihr Beispiel Schule macht und sich noch mehr junge Frauen eine Ausbildung in einem technischen Beruf zutrauen“, betonten die Soroptimistinnen bei der Preisübergabe
Auch Desirée hat ihre erste Ausbildung im Finanzamt nicht durchgehalten. „Eigentlich wollte ich immer was Handwerkliches machen.“ Nun ist sie glücklich in dem kleinen Betrieb, in dem es kein Problem ist, dass sie als Frau mit anpackt. Ihr fünfjähriger Sohn geht in die Kita, ein Tagesvater holt ihn ab. „Sonst würde ich das nicht hinkriegen.“ Natürlich seien die Tage oft anstrengend, „aber man will ja mal Geld verdienen“. Die Aussicht auf einen besser bezahlten Beruf war es auch, die Tanja Schmidt zur Ausbildung trieb – mit 34.
Umgang im Wittener Betrieb ist „respektvoll und locker“
Im Betrieb sei der Umgang irgendwas „zwischen respektvoll und locker“. Tanja weiß: „Man muss selbstbewusst auftreten.“ Dass sie in der Lehrwerkstatt den Spitznamen „Mutti“ erhielt, störte sie nicht weiter. Nun hat sie ihren Abschluss in der Tasche und wurde bei ZF übernommen. Sie baut dort Industriegetriebe für große Bagger zusammen. Vergessen hat sie die stressige Zeit, als sie mit den Kindern während Corona zuhausesaß und selbst lernen musste, jedoch nicht. Den Anspruch, auch im Haushalt perfekt sein zu müssen, warf sie schnell über Bord. Nach der Abschlussprüfung habe sie vor Erleichterung geheult.
Nicht alle fanden gut, wie sie ihr Leben anging. „Aber ich war schon immer ein bisschen rebellisch und stur“, sagt Tanja. „Und ich hatte ein persönliches Ziel.“ Ihren Töchtern möchte sie eines mit auf den Weg geben: „Man kann etwas schaffen, auch wenn es unmöglich erscheint.“