Witten. Die Ruhr in Witten hat mit ihrem Rekordhochwasser Häuser, Autos und Wohnwagen geflutet. Es war gar nicht einfach, zu den Betroffenen zu gelangen.
Bilder, wie man sie von Rhein, Mosel und Elbe kennt: Unwetterartige Regenfälle lassen Flüsse zu reißenden Wassermassen anschwellen. Menschen müssen aus ihren Häusern flüchten - jetzt auch in Heven.
Nachdem sich „Tief Bernd“ am Mittwoch (14.7.) auch kräftig über Witten ausgetobt hatte, mussten 50 Anwohner der Straßen „In der Lake“ und aus dem „Alten Fährweg“ am Donnerstag (15.7.) von der Feuerwehr und DLRG-Kräften mit Schlauchbooten in einem mehrstündigen Einsatz vor der tosenden Ruhr in Sicherheit gebracht werden.
Ein Blick von der Herbeder Ruhrbrücke, die auch Schaulustige anzieht, zeigt das ganze Ausmaß des Dramas an der Ruhr. Die ist nicht nur mächtig über die Ufer getreten. Sie hat auch die Ruhrwiesen und Spazierwege in Richtung Kemnader See in Besitz genommen. Die Ruhr-Golf-Anlage verwandelte sich in einen See.
Mitgerissene Äste tanzen in den Fluten. Wohnwagen und Autos stehen im Wasser, auch aufgebockte Paddelboote. Die Wiese am spanischen Lokal „Picasso“ in der Straße „In der Lake“, von der aus man an sonnigen Tagen einen idyllischen Ruhrblick genießen kann, ist im Wasser verschwunden.
Die Wittenerin Dagmar Linde schleppte ihre Möbel nachts alleine auf den Dachboden
Auch die Herbeder Stahlfirma Lohmann ist betroffen. Am Donnerstagnachmittag steht das Wasser am alten Stammsitz in der Straße „Ruhrtal“ rund 15 Zentimeter hoch vor dem Werkstor. Sogar in Werkshallen sei die Ruhr eingedrungen, sagt ein Mitarbeiter. Auch Thorsten Schanze hat ein solches Hochwasser in Witten in seiner über 30-jährigen Dienstzeit noch nicht erlebt. Am Donnerstagvormittag steht der Feuerwehrmann auf der Herbeder Straße schräg gegenüber der Firma Green-Air-Systems und wartet auf die Schlauchboote, die die evakuierten Menschen über den „Alten Fährweg“ ins Trockene bringen. Auf der Herbeder Straße steht das Wasser noch stellenweise rund einen Meter hoch.
Unter den Evakuierten ist Dagmar Linde. Die Sängerin wohnt „In der Lake“. Sie habe Hochwasserschutztüren im Haus, erzählt sie. Trotzdem habe das Wasser um 4 Uhr nachts schon rund zehn Zentimeter hoch im Keller gestanden. „Dann stieg es höher und höher.“ Die 58-Jährige war alleine in ihrem Haus und schleppte ihre Möbel hoch auf den Dachboden. „Mein Auto draußen stand tief im Wasser.“ Nun kommt die Künstlerin erst einmal bei ihrer Tochter unter.
WG-Bewohner ließen sich wegen ihrer Katzen nicht evakuieren
Eine junge Mutter wartet mit ihrer zweijährigen Tochter vor dem Bogestra-Bus, der für die Evakuierten an der Herbeder Straße bereitsteht. Seit 5.30 Uhr sei sie wach, sagt sie. Ringsherum habe da im Alten Fährweg schon das Wasser gestanden. „Das ist eine Situation, die man nur aus dem Fernsehen kannte.“
Das E-Auto der Familie stand zum Aufladen zum Glück in Herbede, als die Ruhr den „Alten Fährweg“ in Besitz nahm. Sebastian Banhold, Geschäftsführer der dortigen Brennerei Sonnenschein, war Mittwochabend wegen der starken Regenfälle noch bis 21.30 Uhr in seinem Geschäft. „Zu diesem Zeitpunkt stand das Wasser nur auf der Straße.“ Dass es in sein Geschäft fließen könnte, habe er da noch nicht geahnt. So fuhr er zum Schlafen nach Hause - nach Bochum.
Um 5.20 Uhr wurde Banhold durch den Anruf eines Mitarbeiters geweckt. Alles sei voller Wasser. Vor der Privatbrennerei gibt es eine große Streuobstwiese. „Die hat sich bei starkem Regen schon mal in einen Teich verwandelt. Ich habe immer gedacht, die Wiese dient uns auch als Auffangbecken.“ Welchen Schaden hat die Ruhr in seinem Unternehmen angerichtet? Sebastian Banhold weiß es nicht, er kommt nicht hin.
Auch eine Sechser-WG, die in der Lake wohnt, wurde von der Ruhr überrascht. Bewohner Benjamin ist froh, von der DLRG abgeholt worden zu sein. „Unser Keller ist komplett vollgelaufen.“ Der 23-Jährige sagt, dass zwei Mitbewohner sich nicht evakuieren lassen und die Stellung halten. Warum? „Wegen unserer Katzen, die kann man nicht mitnehmen, die leben draußen.“
„Das Wasser hat eine ordentliche Strömung“
Gabriele Voss musste ihre Wohnung verlassen. Die 72-Jährige wohnt im Vorderhaus der alten Hevener Brennerei - gegenüber vom Geschäft „Sonnenschein“. „Gegen 4 Uhr morgens kam das Wasser in unseren Hof.“ Zu Fuß durch die Fluten in Richtung Herbeder Straße zu laufen, sei ihr am Donnerstagmorgen nicht in den Sinn gekommen, sagt sie. „Das Wasser hat eine ordentliche Strömung. Ich hätte Angst, dass es mir die Füße wegreißt.“ Mit 72 Jahren hat man schon viel erlebt. Was sagt Gabriele Voss zum Ruhrhochwasser, das sie aus ihrer Wohnung vertrieb? „Das ist schon sehr schockierend.“