Witten. . Als Altistin steht Dagmar Linde (53) auf großen Bühnen und gibt Gesangsunterricht für Studenten. Ruhe findet sie in ihrem Garten in Witten.

Das Selbstbewusstsein stärken, die eigenen Gefühle ausdrücken und verarbeiten, andere berühren – „Singen macht ganz viel mit dem Menschen“, sagt die Altistin Dagmar Linde (53). „Es ist für mich das Glücklichste, Wunderbarste auf der Welt, ein Teil meiner Persönlichkeit.“ Wenn die gebürtige Wittenerin die Tangomesse des Argentiniers Martín Palmeri anstimmt, ist das zu spüren. Ihr Glaube an Gott, ihre Hingabe für die Musik, die Erfahrungen, die sie im Leben gemacht hat. Die guten und die schlechten.

„Die Tangomesse habe ich das erste Mal vor ein paar Jahren gesungen, mit einem befreundeten Bandoneonspieler. Seitdem träumen wir davon, das Stück gemeinsam aufzunehmen.“ Am vergangenen Wochenende war es soweit: Begleitet vom Bachchor Siegen, von Orchester und Flügel – und natürlich ihrem Bekannten – hat Linde die Tangomesse in einer Siegener Kirche eingesungen. Produzent ist der WDR.

Gärtnern als Ausgleich zum Beruf

Im Juli wird die Wittenerin die Misa a Buenos Aires vor großem Publikum aufführen, auf dem Rheingau Musikfestival. „Dann natürlich in Abendrobe“, lacht die Linde. Das Singen ist ihr Lebensunterhalt. Und ihre Altersvorsorge. Ein schwieriges Business mit großem Konkurrenzdruck, aber die Mutter einer Tochter hat nie aufgegeben. „Ich habe mir mein Auto und mein Haus selbst ersungen.“

Seit einigen Jahren lebt Dagmar Linde am Ufer der Ruhr in Witten. Einen Großteil ihrer Freizeit verbringt sie im Garten. „Ich brauche die Erdung, die Ruhe der Natur als Ausgleich zu meinem Beruf, bei dem ich immer in Schwingung bin, immer genau hinlausche.“

Die eigene Stimme benutzen

Über das Repertoire von Dagmar Linde

Dagmar Linde singt vor allem Oratorien. „Mein Herz schlägt für die Klassik“, sagt die Altistin. Aber auch Uraufführungen gehören zu ihrem Repertoire.

Am 2. Juli tritt Linde auf dem Rheingau Musikfestival auf, im Oktober tourt sie für einige Tage durch Japan.

Mehr Informationen zu ihrer Person gibt es im Netz unter dagmar-linde.de.

Mehrmals in der Woche bekommt die 53-Jährige Besuch von Studenten der Universität Witten/Herdecke. „Seit 1999 bin ich Dozentin an der UW/H und lehre Studenten das Singen.“ Der Unterricht gehöre zum Studium fundamentale für die angehenden Mediziner, Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler. „Pro Semester habe ich etwa 15 bis 20 Gesangsschüler, aber es gibt viel mehr Interessenten.“ Während der Vorlesungszeit hat jeder von ihnen eine Stunde Unterricht pro Woche. „Singen lernen geht nur im Einzelunterricht“, sagt die Altistin. „Ich beobachte immer wieder, wie viel Freude das den jungen Leuten bereitet und wie es ihr Selbstbewusstsein stärkt. Viele finden im Gesang ihre eigene kleine Insel. So können sie zum Beispiel einem Burn-out vorbeugen.“

Am vergangenen Samstag hat ihr der Universitätsverein den Peter Bartholmes-Teaching Award verliehen, „für herausragende Lehre im Sinne der drei Grundwerte der Universität Witten/Herdecke: Zur Freiheit ermutigen – soziale Verantwortung fördern – nach Wahrheit streben“. „Ich liebe die Arbeit mit den Studenten, sie halten mich jung“, sagt Dagmar Linde. „Leider hat unsere Gesellschaft verlernt zu singen.“ Durch Fernsehsendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ hätten viele einen Anspruch auf Perfektion, trauten sich nicht, die eigene Stimme zu benutzen. „Aber es muss nicht immer Kunst sein.“ Die Musik könne einen kräftigen, ein gutes Gefühl machen, Erinnerungen wecken. „Das habe ich vor allem in der Arbeit mit sterbenden und demenzkranken Menschen erlebt.“ Wenn sie ihre Lieblingslieder hörten, ginge es ihnen besser.

„Singen ist kostenlos, ungefährlich und immer verfügbar“, sagt Dagmar Linde und fängt zum Beweis an zu summen. Kein großes Oratorium, sondern ein Volkslied aus der Kindheit.