Witten. Pro Familia fordert die Legalisierung der Abtreibung und hilft ungewollt Schwangeren in Witten. Blick hinter die Kulissen eines Tabu-Themas.
Der Paragraf 218 stellt seit 150 Jahren Abtreibung unter Strafe. Pro Familia macht sich aus diesem Anlass erneut dafür stark, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren. Denn Abtreibung mit einem Verbrechen gleichzusetzen, verhindere nicht, dass Frauen sich dafür entscheiden, sagt Vanessa Kopp von der Beratungsstelle in Witten. Es verschärfe lediglich den Konflikt, in den die Schwangeren geraten. Ein Blick hinter die Kulissen eines Tabu-Themas.
Täglich haben Kopp und ihre Kollegin Susanne Homrighausen-Zahedi mit Frauen zu tun, die Hilfe suchen. Dabei geht es nicht nur um die Entscheidung für oder gegen ein Kind. Grundsätzlich beraten die Expertinnen – Diplom-Sozialpädagogin die eine, Frauenärztin die andere – zu allen Fragen rund um das Thema Schwangerschaft, etwa Kinderwunsch, Verhütung, finanzielle Hilfen oder was angehende Eltern so erwartet. Doch 237 Frauen sind im vergangenen Jahr zur Beratungsstelle in der Annenstraße gekommen, weil sie sich die Frage gestellt haben: „Will ich jetzt ein Kind?“ In der Pandemie seien es nicht weniger geworden.
Ratsuchende Schwangere in Witten sind 22 bis 39 Jahre alt
„Darunter sind Minderjährige ebenso wie Frauen, die die Familienplanung längst abgeschlossen hatten“, sagt Gynäkologin Homrighausen-Zahedi. Im Schnitt seien die Ratsuchenden aber 22 bis 39 Jahre alt. Manche würden erst bei einer Kontrolluntersuchung erfahren, dass sie ein Kind erwarten. „Andere bemerken eine Veränderung im Körper, machen einen Test und sind völlig geschockt“, so Vanessa Kopp.
Dass Frauen heutzutage noch ungewollt schwanger werden, sei nicht unbedingt ungewöhnlich. Kopp: „Kein Verhütungsmittel ist zu 100 Prozent sicher.“ Vielleicht sei die Spirale verrutscht oder die Pille habe sich nicht mit anderen Medikamenten vertragen. „Manchmal passiert Sexualität auch spontan.“ Und manchmal fehle schlicht das Geld für Verhütungsmittel. Auch entsprechende Apps sehen die Beraterinnen kritisch, weil sie die Nutzerinnen zu sehr in Sicherheit wiegen würden.
Wittener Beraterin: Abbruch ist laut Gesetz eine Straftat gegen das Leben
Doch wie geht es weiter, wenn sich der Gedanke im Kopf festgesetzt hat, das Kind nicht haben zu wollen – oder zu können? „Ein Abbruch ist auch im 21. Jahrhundert noch eine Straftat gegen das Leben, gleichzusetzen mit Mord und Totschlag“, sagt Sozialpädagogin Kopp. Straffrei bleibt die Abtreibung, die bis zur zwölften Woche möglich ist, nur mit Beratungsschein. „Das löst Angst und Scham aus.“ Die Frauen haben das Gefühl, etwas Illegales zu tun. Doch oft hätten sie eben auch triftige Gründe für ihre Entscheidung.
Kostenlose Beratung
Frauen, die Hilfe und Unterstützung suchen, können sich an die Schwangeren- und Konfliktberatung von Pro Familia an der Annenstraße 120 wenden, um einen Beratungstermin auszumachen: 02302-699190 oder witten@profamilia.de. Die Beratungen sind kostenlos, die Mitarbeiterinnen unterliegen der Schweigepflicht.Auch die Ev. Kirche bietet eine Beratungsstelle für Schwangerenkonflikte und Partnerschaftsprobleme in Witten an. Weitere Beratungsstellen gibt es in Schwelm (Pro Familia) und Hattingen (Donum Vitae).
Die seien vielfältig: Die Frauen fühlen sich der Verantwortung für das Kind nicht gewachsen, sind gerade in der Ausbildung oder im Studium, haben psychische, gesundheitliche oder auch finanzielle Probleme. Kopp: „Bei manchen führt die Schwangerschaft auch zu einem Paarkonflikt. Die sind dann in einer doppelten Misere.“
Eine Praxis in Witten nimmt Abtreibungen vor
Die Beraterinnen hören sich an, was die Frauen umtreibt, urteilen jedoch nicht über die Gründe. Sie raten nicht zum Abbruch, bieten nur Hilfe für eine verantwortungsvolle Entscheidung – von der sie oft nicht wissen, wie sie letztlich ausgefallen ist. Die Frauen haben drei Tage Bedenkzeit. Deutschlandweit habe es im Jahr 2020 rund 100.000 Abbrüche gegeben, davon ein Fünftel in NRW.
Arztpraxen, die einen Abbruch vornehmen, sind relativ rar gesät. „Auch Ärzte machen sich Sorgen um eine Vorverurteilung“, weiß Susanne Homrighausen-Zahedi. Auch sei das Thema nicht in der ärztlichen Ausbildung verankert. In Witten gibt es eine Praxis, die einmal in der Woche operative Abbrüche macht. In Schwelm und Bochum gibt es ebenfalls je eine Praxis, in Dortmund und Herne drei, in Essen zwei.
Die beiden Wittener Beraterinnen sind sicher: „Die Frauen machen sich die Entscheidung nicht leicht.“ Diese müssten sie jedoch in einem wertfreien Raum ohne moralische Vorbehalte treffen können. Pro Familia fordert deshalb: „150 Jahre Kriminalisierung sind genug.“