Witten. Zu wenig Impftermine trotz Aufhebung der Priorisierung – In Arztpraxen in Witten liegen die Nerven blank. Ein Hausarzt: „Wir werden überrannt.“

Ab Montag (7.6.) entfällt die Priorisierung bei den Corona-Schutzimpfungen. Jeder, der dies möchte, kann sich für eine Immunisierung melden. Trotzdem sei Geduld bei der Vereinbarung von Impfterminen gefragt, betonen die Bundes- und die NRW-Landesregierung. Der Wittener Hausarzt Dr. Daniel Pötter erlebt - wie andere niedergelassene Mediziner in der Stadt - einen Ansturm Impfwilliger auf seine Gemeinschaftspraxis an der Ardeystraße. Massiv verärgert ist der Arzt über das aggressive Verhalten so mancher Ungeduldiger.

„Es ist ein riesiges Chaos, wir werden überrannt“, sagt Pötter. Und nennt ein Beispiel: Morgens früh hat er jetzt eine Mail mit einer Impfanfrage erhalten. Kurz darauf stand der Patient schon in seiner Praxis und habe sich schreiend darüber beschwert, dass er vom Doktor noch nichts gehört habe. „Die Leute werden - quer durch alle Altersgruppen - beleidigend und laut“, wenn ihr Impf-Wunsch nicht sofort in Erfüllung gehe. Oft bekämen das seine Helferinnen ab. Aber auch der Arzt wird verbal angegangen.

Allgemeinmediziner aus Witten: „Auch bettlägerige Patienten warten noch auf eine Impfung“

Im großen Hausflur, der zu Pötters Praxis führt, stehen die Menschen Schlange. „Viele meinen, sie kommen zum Arzt, erhalten dort sofort eine Spritze und können dann wieder gehen.“ Ein großer Irrtum, wie der Allgemeinmediziner betont, der auf seine Impf-Warteliste verweist, auf der knapp 1000 Menschen stehen. 25 bis 30 Prozent von ihnen hätten noch die Impfpriorität 1 oder 2. Auch bettlägerige Patienten warteten noch auf eine Impfung. „Wir konnten noch nicht so viele Hausbesuche anbieten.“

Der Wittener Hausarzt Sascha Hellweg hat in seiner Gemeinschaftspraxis die meisten Patienten der Priorisierungsstufen 1 bis 3 schon gegen Corona geimpft.
Der Wittener Hausarzt Sascha Hellweg hat in seiner Gemeinschaftspraxis die meisten Patienten der Priorisierungsstufen 1 bis 3 schon gegen Corona geimpft. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Dass er jetzt ohne die Vorgaben der Priorisierung impfen kann, findet der Allgemeinmediziner grundsätzlich gut und richtig. „Aber es gibt eben nicht genug Impfstoff!“ Die Schmerzgrenze des Arztes ist angesichts des Drucks, den Patienten zusätzlich auf ihn ausüben, mittlerweile erreicht. Wenn das alles so weitergehe, werde er sich überlegen, ob er ab Juli überhaupt noch Corona-Impfungen vornehme oder diese auf ein Minimum beschränke, sagt Daniel Pötter. „Ich muss mich nicht beschimpfen und beleidigen lassen.“

Arzt aus Witten-Herbede spricht von einer „Belagerung der Praxen und einer großen Gereiztheit“

Auch die Gemeinschaftspraxis von Sascha Hellweg an der Breddestraße erlebt einen Ansturm durch Impfwillige. „Es versuchen manchmal 100 Menschen in der Stunde, uns zu erreichen“, sagt der Hausarzt. Mit Impfungen von Menschen der Priorisierungsstufen 1 bis 3 sei seine Praxis so gut wie durch. Rund 300 Impfwillige der bisherigen Priorisierungsstufe 4 stehen auf der Warteliste. Kommen Patienten nicht zu einer vereinbarten Impfung, versucht das Praxis-Team, Menschen von der Warteliste einzuladen. Hellweg: „Das macht unendlich viel Arbeit, oft erreicht man die Leute nicht.“ Eine Erfahrung, die Daniel Pötter bestätigt. „Um sieben Impfwillige zusammenzubekommen, wenn Leute zum Impftermin nicht erschienen sind, sind schon einmal 30 Telefonate notwendig.“

Keine Erstimpfungen

Das Impfzentrum des Kreises hat seine Corona-Erstimpfungen vorerst einstellen müssen. Der Grund: zu geringe Impfstoff-Mengen. Die vorläufige Aussetzung werde wohl den gesamten Juni andauern, so der Kreis. Die Zweitimpfungen laufen weiter.

Das Land ist für die Impfzentren zuständig und stellt diesen Impfdosen zur Verfügung. Der Impfstoff für die Zentren wird durch den Bund beschafft.

Dr. Arne Meinshausen, niedergelassener Allgemeinmediziner im Herbeder Rathaus der Medizin, spricht von einer „Belagerung der Praxen und einer großen Gereiztheit“ der Patienten. „Unsere Helferinnen sind maximal gefordert.“ Auch bei ihm bekommen Ungeduldige nicht sofort den ersehnten Piks. „Aber innerhalb von drei Wochen gibt es Termine für Menschen, die bei uns Patienten sind.“

Meinshausen lobt auch die bisherige Impftätigkeit des Impfzentrums des Kreises sowie dessen Drive-in-Impfstation an der Schwelmer Dreifachsporthalle. „Dort wurde gute Arbeit geleistet. Nicht zuletzt deshalb sind wir mit den Impfungen im EN-Kreis schon so weit.“