Witten. Der Schwesternpark hat zwölf Klangkünstlern bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik als Kulisse für ihre Werke gedient. Das gab es zu hören.

In die Knie zwingen ließen sich die Veranstalter der 53. „Wittener Tage für neue Kammermusik“ von der Pandemie in diesem Jahr nicht. Und so konnte am Eröffnungstag sogar die wohl aufwändigste Produktion dieses Jahres in voller Pracht wenigstens online genossen werden: Brice Pausets multimediale Kreation „Vertigo“ für Ensemble in sechs Gruppen, 18 Bild-Module und Elektronik. Das von Alfred Hitchcocks gleichnamigem Film inspirierte Werk war vorab an drei Orten in Wien, Paris und Berlin produziert worden.

Die mittlerweile liebgewonnene Tradition, diverse Orte der Stadt in das Festivalgeschehen zu integrieren, musste diesmal freilich Federn lassen. Geplant waren zwölf Installationen, Klangskulpturen und gattungsübergreifende Aufführungen im Schwesternpark, der idyllischen Parkanlage, die 1910 für die Diakonissen des angrenzenden evangelischen Krankenhauses angelegt worden war.

Musik aus Witten dient als Appetitanreger für 2022

Doch die Projekte blieben diesmal für die Besucher unsichtbar und konnten lediglich im Hörfunk akustisch wahrgenommen werden. Dass damit das Ziel der „SchwesternParkMusik“ nicht annähernd erreicht werden konnte, ist den Veranstaltern – also dem WDR und dem Wittener Kulturforum – natürlich bewusst und so waren die dürren Einblicke und Erläuterungen in den Radiobeiträgen vor allem als Appetitanreger für die komplette Präsentation im nächsten Jahr zu verstehen. Dann hoffentlich live und vor Ort.

In einem fast halbstündigen Video wird auf wdr.de über den Schwesternpark in Witten berichtet.
In einem fast halbstündigen Video wird auf wdr.de über den Schwesternpark in Witten berichtet. © Screenshot

Damit war die Vorbereitung der Beiträge also nicht völlig vergebens. Man wurde neugierig auf die vielfältigen Versuche, die Szenerien der Naturanlagen in kreative Projekte einzubinden. Das führte zu zwölf Lösungen unterschiedlichster Machart. So konzentrierte sich die Schweizer Performance-Künstlerin Lilian Beidler in ihrer Kreation „Lustwurzeln und Traumrinden“ auf zarte Klänge der Bäume, Bäche, des Laubs und der Insekten, die sie mit hochempfindlichen Mikrofonen aufnahm und verarbeitete. Erwachsen aus der Vorstellung, wie die „lustwandelnden“ Schwestern vor 100 Jahren die Wunder des Parks wahrgenommen haben könnten.

„Schwesternpark Fragmente“ – ein Erlebnis magischer Klangsinnlichkeit

Problematischer, wenn nicht unmöglich, war die rein akustische Vermittlung von aufwändigen Installationen wie Peter Ablingers als Labyrinth konstruierte „Warteschlange“. Die musikalischen Beiträge der sechs mit Live-Musik geplanten Arbeiten wurden vorab im Studio produziert und können ohne Einbindung in die Umgebung des Parks natürlich nicht mehr als akustische Kulissen bieten. Und die sind nicht alle so raffiniert komponiert, dass sie als reines Hörerlebnis bestehen können. Eine Ausnahme bilden Daniel Otts „Schwesternpark Fragmente“ für Trompete, Steel Drums und Stimmen. Sie hat Ott elektronisch verfremdet zu einem Erlebnis von magischer Klangsinnlichkeit entwickelt.

Mehr als 600 Werke uraufgeführt

Die Wittener Tage für neue Kammermusik sind das größte Festival für neue Kammermusik in Deutschland und eines der bedeutendsten Festivals für die musikalische Avantgarde weltweit. Es zieht regelmäßig Künstlerinnen und Künstler sowie Fans aus aller Welt an. In Witten waren in den letzten vier Jahrzehnten viele wichtige Werke der Gegenwartsmusik erstmals zu hören, Werke, die aus der neueren Musikgeschichte nicht wegzudenken sind.

Insgesamt wurden in Witten mehr als 600 Werke uraufgeführt. Das Kulturforum Witten und WDR 3 veranstalten das Festival gemeinsam

Die sechs zentralen Konzerte konnten hingegen auch im Videostream angesehen werden. Damit wurde dem Publikum in diesem Jahr unter den schwierigen aktuellen Bedingungen erheblich mehr geboten als noch im letzten Jahr, als die Veranstalter eiskalt von der Pandemie überrascht wurden. Wichtig ist, dass dieses Festival, eine der immer noch renommiertesten Leistungsschauen der Avantgarde, überhaupt stattgefunden hat und seine Existenzberechtigung bekräftigen konnte – in Zeiten, in denen es Kulturformate abseits des Mainstreams auch ohne Lockdowns schwer genug haben.