Witten. Die Wittener Tage für neue Kammermusik zusammengeschrumpft auf einen Nachmittag im Märkischen Museum. Aber der konnte sich wirklich hören lassen.

Wegen Corona wurden die „Wittener Tage für neue Kammermusik“ in diesem Jahr nur im Rundfunk gesendet. Der WDR wollte aber auf die Konzerte nun doch nicht ganz verzichten und hat mit dem Kulturforum Witten ein Konzept für eine zusammenfassende Kurzveranstaltung geplant.

So erklangen die neuen Töne (und Geräusche) am Samstagnachmittag in den Räumen des Märkischen Museums und der Bibliothek, die sich dabei als sehr geeignet für die Aufführung avantgardistischer Musikwerke erwiesen. Die aufgeführten neun Werke gerieten vielfältig und verzweigt: Ob seriell oder in Clustern komponiert, tonal oder atonal, existenziell oder romantisch, bombastisch oder still, alles war vertreten. Die Musiker brachten ganz unterschiedliche Werke zu Gehör, wobei aber alle eines gemeinsam hatten: die intime und zuschauernahe Atmosphäre der Kammermusik.

Musik in Witten bietet Meditation in ihrer schönsten Form

Das Programm begann mit einem Kuriosum. Zwei Damen in leuchtend roten Ganzkörperanzügen schalteten zwei handelsübliche Staubsauger ein, hielten sich die Saugrohre an den Mund und begannen mit ihrem Musikvortrag. Laut Komponistin Carola Bauckholt sollen durch die Veränderung der Mundhöhle, durch gesungene Töne und zischende oder schnalzende Geräusche neuartige Klänge erzeugt werden, wobei der Staubsauger als Klangkörper dient. Was zunächst albern anmutet, erwies sich im Folgenden als überraschend effektiv. Vielschichtige, sich überlagernde Sprachfetzen, Töne und Zischlaute erzeugten eine neuartige Klangsinfonie mit Spannungsbögen und Höhepunkten. Das durchweg fachkundige Publikum spendete viel Beifall.

Unanime: Das Werk für acht Trompeten hat Justé Janulyté geschaffen.
Unanime: Das Werk für acht Trompeten hat Justé Janulyté geschaffen. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Sehr bemerkenswert: Die junge litauische Komponistin Justé Janulyté schuf ein Werk für acht Trompeten und riet den Zuhörern vorab, nicht nachzudenken oder zu begreifen, sondern sich einfach in die Klänge fallenzulassen. Die acht Bläsersolisten produzierten im Folgenden ein zunächst zartes, dann stetig intensiveres Klanggebilde, welches unmerklich den Charakter änderte. Man konnte aber nicht feststellen, welche neuen Töne oder Instrumente diese Änderung bewirkten. Die Musik war übergangslos fließend, steigerte sich gleichmäßig zu einem bescheidenden Höhepunkt, bevor sie wieder ins Nichts versank. Das war Meditation in seiner schönsten Form.

Bei jedem Schritt verändern sich die Klänge

Eine Klanginstallation von Christina Kubisch mit dem Titel „Kupfer Himmel“ brachte die Zuhörer dann in Bewegung. Mit aufgesetzten Kopfhörern liefen sie durch mehrere völlig leere Räume und staunten über die sich bei jedem Schritt ändernden Klänge und Geräusche. Sie hörten Naturklänge aus Südafrika, elektromagnetische Signale aus Asien und Europa sowie Instrumentalklänge. Man bewegte sich in einer ruhenden Klanglandschaft mit ständig neuen Hörerlebnissen.

Es war fast heiter zu beobachten, wie die Besucher vorwärts, rückwärts oder seitwärts schritten, um Klänge neu zu erfahren oder auch wiederzufinden. Ein geübter Besucher hätte sich mit verbundenen Augen ohne anzustoßen durch alle Räume bewegen können – wenn er sich denn die Reihenfolge der Tonereignisse hätte merken können.

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