Witten. Der Pfarrer am Ev. Krankenhaus in Witten hat häufig mit dem Tod zu tun. Corona macht die Arbeit nicht leichter. Doch es gibt auch Lichtblicke.
Witten hat 113 Covid-Tote zu beklagen, im gesamten Kreis sind bislang 324 Menschen an oder mit Corona gestorben. Das Team rund um Krankenhausseelsorger Stephan Happel (60) beteiligt sich mit einem Baum der Hoffnung am bundesweiten Gedenktag für die Opfer der Pandemie. Der Pfarrer ist seit zwei Jahren auf den Fluren des Ev. Krankenhauses unterwegs, um Trost zu spenden. Ein Interview über bewegende Begegnungen und die Kraft der Gespräche – trotz Maske.
Herr Happel, Sie sind seit 29 Jahren als Pfarrer in der Krankenhausseelsorge im Einsatz. Warum haben Sie diesen Weg gewählt?
Ich habe meinen Zivildienst in einem großen Krankenhaus gemacht und habe dort diese Art der Arbeit kennengelernt. Kirche in einem ganz anderen Umfeld als in der Gemeinde zu gestalten – das hat mich beeindruckt. Bevor ich in Witten angefangen habe, war ich 27 Jahre lang am Knappschaftskrankenhaus in Bochum tätig.
Was steckt hinter der Idee mit dem Baum, der jetzt am Eingang der Klinik steht und an den die Menschen Karten mit Worten der Zuversicht hängen können?
Ich finde es notwendig, so etwas anzubieten, besonders für die Menschen, die hier arbeiten. Die beschäftigen jetzt während Corona noch so viel mehr Dinge bei der Arbeit. Wenn man die Zeitung aufschlägt oder das Radio anstellt – überall ist Corona das vorherrschende Thema. Vielleicht nehmen wir uns zu wenig Zeit, um innezuhalten, um nachzuspüren, wo es trotzdem Lichtblicke gibt.
Was kann es denn gerade Positives geben?
Ein Gespräch, wie ich es anbiete, kann zum Beispiel Hoffnung und Trost vermitteln. Es kann einen Raum öffnen, in dem das, was belastend ist, ausgesprochen werden kann, wo man weinen und klagen darf. Allein dass ich da bin, ein offenes Ohr und Zeit habe – das ist wichtig. Ich will nicht missionieren. Ich spende keinen vorschnellen Trost, aber ich halte die Situation gemeinsam mit dem Betroffenen aus. Und dann machen wir uns auf den Weg, um Kraftquellen zu finden, aus denen man schöpfen kann. Das ist natürlich bei jedem etwas anderes.
Woraus schöpfen Sie Kraft, vor allem nach den sicher oft belastenden Gesprächen?
Natürlich aus meinem Glauben. Aber ich achte auch darauf, dass ich entsprechende Momente und Orte der Stille für mich habe. Ich gehe oft in die Krankenhauskapelle, die Tag und Nacht allen offensteht. Dort gebe ich im Gebet ab, was ich den Tag über gehört habe.
Was hat sich bei Ihrer Arbeit durch Corona verändert?
Der Gesprächsbedarf ist ähnlich hoch wie vor der Pandemie. Aber jetzt bitten mich mehr Menschen telefonisch um einen Besuch bei ihrem Angehörigen, weil sie selbst nicht kommen dürfen. Und bei diesen Anrufen sprechen sie ihrerseits über das, was sie bewegt. Die Themen sind nicht so viel anders als vor der Krise: Angst vor dem Tod, nun auch vor der Infektion oder den Spätfolgen. Wir spüren jetzt viel intensiver, wie verletzlich unser Leben ist. Aber es geht auch um die wechselseitige Sorge umeinander. Die Menschen können sich nicht sichtbar davon überzeugen, wie es dem jeweils anderen geht. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, was wir im Klinikalltag längst wissen: wie wichtig die Angehörigen für unsere Patienten in der Bewältigung ihrer Erkrankung sind. Die Mitarbeitenden versuchen mit viel Einfühlungsvermögen, das aufzufangen. Was auch stärker zutage tritt: Vor allem Ältere, die allein leben, fühlen sich zunehmend einsam. Das ist bedrückend.
Ein Gespräch, bei dem beide eine Maske tragen – wie belastend ist das, wenn es um ernste Themen geht?
Diese notwendige Distanz bei der Kommunikation, einander nur mit halbem Gesicht zu sehen, das war gewöhnungsbedürftig. Ich merke, dass jetzt Worte diese Distanz überbrücken müssen. Es kostet mehr Kraft, aber es gelingt, eine seelsorgerliche Beziehung aufzubauen.
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Welche Bedeutung hat der Gedenktag für Sie?
Das Infektionsgeschehen hat uns jetzt über ein Jahr so belastet, dass wir die Toten dahinter bisher gar nicht gebührend wahrgenommen haben, wenn wir nicht unmittelbar betroffen waren. Es war wichtig, dass der Bundespräsident den Impuls gegeben hat, die Kultur der Trauer, des Abschiednehmens und des Erinnerns zu pflegen. Vielleicht braucht es in absehbarer Zeit wieder solch einen Gedenktag.
Warum steht nun am Evk ausgerechnet ein Ginkgobaum?
Er hat ein weit verzweigtes Geäst und im Herbst zeigen die Blätter einen schönen Farbwechsel von Grün zu Gelb. Das ist ein passendes Symbol für Werden und Vergehen, für Reifen und Abschied. Der Baum wird ja noch eingepflanzt. Damit ist die Botschaft verbunden, dass Hoffnung Wurzeln schlagen und wachsen kann. Und darin mündet letztlich auch das Gedenken.