Witten. Das Märkische Jahrbuch lässt Geschichte lebendig werden. Der Leser erfährt auch, warum Witten und der Kreis nicht „aus Liebe“ zueinander fanden.
Warum gilt das Muttental als Wiege des Bergbaus an der Ruhr? Warum hadert noch heute so mancher Wittener mit dem EN-Kreis? Wie entwickelte sich das politische Leben in der Region nach Ende des Zweiten Weltkriegs? Diese und viele weitere Fragen beantwortet das neue Märkische Jahrbuch für Geschichte des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark. Lesenswert!
Über 190 Seiten stark ist das Buch, ein spannender Lesestoff für alle, die sich für die Geschichte der ehemaligen Grafschaft Mark interessieren, zu der Witten einst gehörte. Sehr aktuell ist der Aufsatz des Bommeraners Klaus Wiegand. Titel: Der ungeliebte Kreis. Der Historiker schildert, dass Witten einst dem Landkreis Bochum angehörte. Anfang der 1970er Jahre zählte die Stadt rund 97.000 Einwohner und verfügte über die kommunalen Kompetenzen einer kleinen Großstadt. „Witten war stolz auf seine Kreisfreiheit und sah sich selbst auf Augenhöhe mit seinen großen Nachbarstädten Bochum und Dortmund.“ Da die Landesregierung jedoch die Ansicht vertreten habe, dass nur eine kreisfreie Stadt mit etwa 200.000 Einwohnern wirtschaftlich sinnvoll sei, sei der Plan verfolgt worden, die Ruhrstadt dem EN-Kreis zuzuschlagen. Was 1975 auch geschah.
Klaus Wiegand: Bis heute gibt es keine Schilder, die von Schwelm auf Witten hinweisen
Wittener Kommunalpolitiker hätten noch gehofft, dass die Stadt als größte Kommune im Kreis auch Kreissitz geworden wäre. Da erst Ende der 1969er Jahre das Kreishaus in Schwelm gebaut worden war, wurde daraus nichts. Wiegands Fazit: „Ein gemeinsames Kreis-, beziehungsweise Heimatgefühl konnte sich im neuen Kreis kaum entwickeln. Witten fühlte und fühlt sich als Bestandteil der Metropole Ruhrgebiet.“ Bis heute gebe es keine Hinweisschilder, die von Schwelm auf Witten hinweisen.
Mit dem Neubeginn des politischen Lebens im EN-Kreis ab 1945 hat sich der ehemalige Kreisarchivar Dr. Dietrich Thier beschäftigt. Eine zentrale Figur ist der Kommandeur der britischen Militärregierung, Major Fulco Peter Alexander. Die erste Sitzung der Kreisvertretung fand am 29. November 1945 im Schwelmer Lokal „Sängerheim“ statt. Thier: „Die Kreistagsabgeordneten waren allesamt von der britischen Militärregierung ernannt worden.“ In der ersten Sitzung betonte Major Fulco Peter Alexander, dass es darum gehe, die Anwesenden auf den Weg der Demokratie und des Friedens zurückzuführen, nachdem sie zwölf Jahre von einer Diktatur regiert worden seien.
1947 kam es zu einer Hungerdemonstration vor dem Rathaus in Wetter
Der erste frei gewählte Kreistag nach 1945 trat am 7. Januar 1947 in der Hattinger Schulenburg zusammen. Wie kritisch die Ernährungslage Anfang 1947 gewesen sei, zeigt laut Dietrich Thier ein Bericht vom 1. April 1947 über eine Hungerdemonstration vor dem Rathaus in Wetter.
Verein pflegt Geschichte der ehemaligen Grafschaft Mark
Der Band 120 des Märkischen Jahrbuchsfür Geschichte des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark (VOHM) ist im Bergischen Verlag erschienen. Das Buch ist für 25 Euro im Buchhandel erhältlich. Mitglieder des Vereins für Orts- und Heimatkunde erhalten es kostenlos. Der Verein hat seinen Sitz im Märkischen Museum. Er pflegt die Geschichte der ehemaligen Grafschaft Mark, zu der einst auch Witten gehört hat.
Herausgeber des Jahrbuchs sind der ehemalige Kreisarchivar Dr. Dietrich Thier zusammen mit Dr. Stefan Pätzold, Hardy Priester und Dr. Olaf Schmidt-Rutsch.Das Jahrbuch trägt die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse zur Grafschaft Mark zusammen und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Geschichtsschreibung der Region.
Wer sich für Wittens Bergbaugeschichte interessiert, stößt immer wieder auf Gerhard Koetter. Der ehemalige Leiter der Erlenschule ist ein Experte in Sachen Kohleabbau in der Ruhrstadt. Der Hevener hat hierzu Bücher und Aufsätze verfasst. Mit einem Bericht über das Wittener Muttental und die Zeche Nachtigall ist er im neuen Jahrbuch vertreten. Der Leser erfährt auch, dass Wittens Kohle bis ins Bergische Land transportiert und mit Schiffen sogar bis nach Duisburg-Ruhrort gebracht wurde. Auch Ludwig von Elverfeldt wird vorgestellt, der mit dem Bergbau im 19. Jahrhundert Geld verdiente und privat auf Haus Steinhausen in Bommern lebte, das er später an einen Niederländer verkaufte.
Ein Hattinger wanderte im 19. Jahrhundert nach Amerika aus
Der Düsseldorfer Familienforscher Christian Seidler erzählt im Märkischen Jahrbuch die Geschichte von Wilhelm Sombart, der 1796 in Hattingen zur Welt kam. Sombart kämpfte in der Armee von General Blücher (1742-1819) gegen Napoleon. Mit 22 Jahren wurde er Wegebau-Inspekteur in Olpe, wo er heiratete. Eine Krankheit zwang ihn jedoch, den Dienst zu quittieren. 1837 wanderte Sombart mit seiner Familie in die USA aus, um sich in Missouri auf einer Farm niederzulassen. Ein früher Auswanderer aus Hattingen!