Witten. . Das neue Märkische Jahrbuch erzählt von dem harten Los der Bergleute, der letzten Kaiserin und einer Äbtissin, die Bäume stehlen ließ.
Was ein Grabstein über das Schicksal eines Wittener Bergmanns im 19. Jahrhundert erzählt, wie die Stadt Wetter einst mit Armen umging, wer Auguste Victoria, die letzte deutsche Kaiserin, war – dies erfährt man im neuen Märkischen Jahrbuch für Geschichte. 249 Seiten Lesestoff für alle, die sich für die Historie Wittens und die der ganzen ehemaligen Grafschaft Mark interessieren.
Ingrid Telsemeyer hat sich mit den gefährlichen Arbeitsbedingungen früherer Bergleute beschäftigt. Die wissenschaftliche Referentin im Westfälischen Landesmuseum für Industriekultur (Dortmund) stieß auf den Grabstein des Bergmanns Heinrich Herberg in der Sammlung ihres Hauses. Herberg war im Juli 1876 tödlich auf der Wittener Zeche Franziska Tiefbau verunglückt. Er hinterließ Frau und Kind. Sein Schicksal war im 19. Jahrhundert eines von vielen, wie Telsemeyer betont. 1876 habe es über 450 tödliche Unfälle von Arbeitern im Steinkohlebergbau Preußens gegeben.
Das Kaiserpaar kam mit dem Zug in Wetter an
Das Märkische Jahrbuch, das im Auftrag des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark (Witten) herausgegeben wird, gewährt auch Einblicke in das Leben, Wirken und die Persönlichkeit der letzten deutschen Kaiserin Auguste Victoria (1858-1921). Mit ihrem Mann, Kaiser Wilhelm II., hat sie am 10. August 1909 das Nationaldenkmal auf der Hohensyburg besucht, berichtet Autor Thomas Parent, bis 2013 stellvertretender Direktor des LWL-Industriemuseums.
Das Kaiserpaar war mit dem Zug bis nach Wetter gefahren, von dort ging es mit einem Auto weiter. Dr. Dietrich Thier, Kreisarchivar und Herausgeber des Märkischen Jahrbuchs: „Davon haben wir in unserem Archiv in Wetter Fotos.“ Durch Autor Thomas Parent erfährt der Leser auch, dass es mit dem Eheleben des Kaiserpaares nicht zum Besten bestellt war. Zeit seines Lebens habe Wilhelm II. „eine kameradschaftliche, intellektuell anregende Männergesellschaft“ dem Familienleben vorgezogen. Die Kaiserin, siebenfache Mutter, hatte noch andere Sorgen. So sei sie mit der Homosexualität ihres vierten Sohnes nicht zurecht gekommen.
Was Friedrich Harkort über Arme schrieb
Mit dem auch heute hochaktuellen Thema Integration beschäftigt sich Wulf Schade. Der Politikwissenschaftler interessierte sich für die Zuwanderung von Polen und anderen Gruppen – wie Pommern oder Saarländern – vor über 100 Jahren ins Ruhrgebiet. Diese „Arbeitsmigranten“, so stellt Schade fest, hätten über Jahrzehnte weitgehend isoliert gelebt und an ihren eigenen Traditionen festgehalten. Dies habe auch für deutschsprachige Zuwanderer gegolten.
Stephanie Pätzold, Archivarin im Kreisarchiv, hat über die frühere Armenversorgung in Wetter geschrieben. Hierbei lässt sie auch den Wetteraner Unternehmer Friedrich Harkort (1793-1880) zu Wort kommen, der eine Krankenkasse, eine Invaliden- und Altersversorgungskasse für seine Arbeiter einrichtete. Harkort im Zitat: „Unterstützung ohne irgend eine Gegenleistung sollte nie bewilligt werden, deshalb organisire man die Handarbeit für die sich meldenden Armen! Das Unglück verdient Hülfe; Faulheit und Müßiggang dagegen Zwang und Strafe.“
Herdecker Äbtissin ließ Bäume stehlen
Schmunzeln lässt den Leser der Beitrag von Geschichts-Professor Gerhard E. Sollbach für das Jahrbuch. Sein Thema: die Herdecker Mark. Über Jahrhunderte wurden dort illegal Bäume gefällt, die als Bau- oder Feuerholz endeten. „Da die Mark dadurch verwüstet zu werden drohte“, seien Verbote erlassen worden, die relativ wirkungslos blieben. Laut Sollbach gehörte selbst der lutherische Pastor in Ende 1589 zu den Holzdieben. Auch die Äbtissin des adeligen Damenstifts in Herdecke ließ 1716 heimlich Bäume fällen. Trotz einer Geldstrafe ließ sie im Jahr darauf erneut Holz aus der Mark stehlen.
>>> WITTENER VEREIN HAT SITZ IM MÄRKISCHEN MUSEUM
Der 117. Band des Märkischen Jahrbuchs für Geschichte ist gerade im Essener Klartext-Verlag erschienen. Herausgeber sind Kreisarchivar Dr. Dietrich Thier, Stefan Pätzold, Hardy Priester und Olaf Schmidt-Rutsch.
Das 249-Seiten-Buch kostet 25 Euro. Der Verein für Orts- und Heimatkunde, der rund 360 Mitglieder hat, hat seinen Sitz im Märkischen Museum. Er pflegt die Geschichte der Grafschaft Mark, zu der Witten gehörte.