Witten. Reibungslos verlief der Massentest an Heiligabend auf dem Ostermann-Parkplatz in Witten. Wie vielen Menschen wurde das Fest gerettet?
Die Autos stauen sich in einer Schlange vor dem Parkplatz bei Ostermann. Helfer in roten Warnwesten stoppen jeden Wagen. Nanu, ist das der Endspurt beim Weihnachtskauf an Heiligabend? Natürlich nicht, die Geschäfte sind ja lockdownbedingt zu. Hier kauft heute keiner noch schnell eine Küche. Vielmehr findet an diesem Morgen der erst von der Stadt abgesagte, dann aber doch von den Behörden genehmigte Massentest auf das Coronavirus statt.
An den Ordnern kommt nur vorbei, wer eine "Einladung" bekommen hat. Per Internet hatten sich 500 Menschen angemeldet, um sich vor der Bescherung testen zu lassen - weil sie möglichst unbeschwert abends mit den Großeltern feiern möchten. Ein bisher einmaliges Angebot des Wittener Arztes Dr. Matthias Thöns und seiner Mitstreiter beim Palliativnetz Witten.
Emma darf gerade mit ihrem kleinen schwarzen Citroen vorfahren. Sie ist gekommen, weil sie mit Opa und Oma Weihnachten feiern möchte. "Sehr gut" findet sie diese Heiligabendaktion. Nun kommt aber der unangenehme Teil. Scheibe runter, "atmen, atmen, atmen", ein Helfer führt ihr das lange Wattestäbchen in Mund und Nase ein.
Angehende Erzieherin aus Witten will mit Großeltern Weihnachten feiern
Die 20-jährige, angehende Erzieherin bleibt wie alle Testpersonen im Auto sitzen, während die "Abstricher" gut geschützt mit FFP-2-Maske, blauen Handschuhen und Plastikhülle über der Hose den Test vornehmen. Unter einem blauen Pavillon steht ein Tisch mit Röhrchen drauf, hier wird der Schnelltest ausgewertet. Er funktioniert ähnlich wie ein Schwangerschaftstest. "Ein Strich ist gut, weil negativ, zwei Striche sind Mist, weil positiv", sagt Dr. Matthias Thöns, der bekannte Palliativarzt, der diese Aktion an Heiligabend organisiert hat.
Nach zehn Minuten erfährt Emma das Testergebnis. Doch ja, sie sei beim Warten schon etwas aufgeregt gewesen, sagt die junge Frau. Dann reckt sie den Daumen in die Höhe. "Negativ!" Frohe Weihnachten. Ganz so gut geht es allerdings nicht für alle aus.
Positiv getestete Personen müssen sofort einen PCR-Test hinterher machen
Drei von 500 Menschen werden an diesem Vormittag positiv getestet. "Ihnen haben wir das Weihnachtsfest verdorben", gesteht Thöns. "Aber dafür können 497 andere fröhlich feiern." Die positiv getesteten Personen bekommen im Anschluss direkt einen PCR-Test. Er gilt als sicherer als der Schnelltest, dessen Aussagekraft "im 90-Prozent-Bereich" liege, so Thöns.
Außerdem müssen sich die drei Infizierten, die alle keinerlei Symptome aufwiesen, direkt in Quarantäne begeben. Noch im Auto werden ihnen FFP-3-Masken überreicht, um mögliche Mitfahrer zu schützen. "Weihnachten müssen sie leider allein feiern", sagt der 53-jährige Arzt. Aber das sei immer noch besser, als dass "Oma eine Woche später tot im Bett liegt". Denn genau darum geht es ja bei dieser Aktion.
Auch nach einem negativen Ergebnis müssen die Menschen vorsichtig bleiben
Zu den Glücklichen, die mit ihrer 85-jährigen Mutter feiern dürfen, zählen Rolf Stiefken und seine Frau Petra. Die beiden haben sich erstmals testen lassen. "Das drückt ein bisschen auf die Tränendrüse, ist aber halb so wild", sagt der 66-Jährige. Vorsichtig wollen und müssen sie natürlich auch nach dem negativen Testergebnis bleiben. "Wir bleiben heute Abend zu sechst in der Familie."
Dass sich 25, 26 Helfer trotz Weihnachten an diesem Morgen auf den Ostermann-Parkplatz stellen, um fremden Menschen abends den Verwandtenbesuch zu ermöglichen - darüber ist Dr. Matthias Thöns regelrecht begeistert. "Eine spektakulär schöne Aktion" zieht er mittags um 12.30 Uhr Bilanz. "Auch wenn wir drei Familien unglücklich gemacht haben."
Palliativschwester aus Witten: "Die Leute finden das cool, dass wir das machen"
Zu den Helfern gehören nicht nur prominente Mediziner wie er oder Dr. Frank Koch, auch etliche andere, etwa Krankenschwestern, haben mitgemacht. Erst wurde im 30-Sekunden-Takt getestet, ab halb zehn dann alle 20 Sekunden. Schwester Beate (58) vom Palliativnetz Witten fühlt sich durch die - das Wort sei erlaubt - "positive" Resonanz bestätigt. "Die Menschen freuen sich, dass wir das hier machen, sie finden das cool."
Froh über das Angebot ist auch Heike Weber (52), die mit Mann und zwei erwachsenen Töchtern gekommen ist. Sie wollen ebenfalls abends mit den Großeltern feiern. Die eine Tochter ist Polizistin und hat deshalb besonders viel Kontakt zu Menschen - also lieber auf Nummer sicher gehen. Eine Helferin mit roter Mütze nimmt die Abstriche vor.
Gegen halb zwölf werden die ersten zwei von vier Teststationen abgebaut, der Parkplatz leert sich. In den Schaufenstern strahlen die hellen Badezimmer-Möbel von Ostermann. An einkaufen ist vorerst aber nicht zu denken. Dafür feiern fast 500 Menschen ein wenig unbeschwerter mit ihren Lieben Weihnachten.