Witten. Corona hat den Sängern die Stimme verschlagen. Es bleibt still im Advent. Gerade zu Weihnachten wachsen die Sorgen der Chöre in Witten weiter.

Stille Nacht, ganz stille Nacht: In diesem Jahr wird keines der großen Weihnachtskonzerte stattfinden dürfen. Für die Chöre ist das jetzt eine doppelt schwere Zeit: Ihnen fehlen die Auftritte und die Gemeinschaft. Und manche Gruppe bangt um ihren Fortbestand.

Die Chöre haben die Corona-Schutzmaßnahmen hart getroffen. Seit dem ersten Lockdown sind Proben fast nicht möglich gewesen. Im Herbst lief der Probenbetrieb zwar langsam an, doch weil Singen als besonders gefährlich bei der Verbreitung des Virus’ gilt, konnten die Treffen unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen stattfinden. Manche Gruppen haben sich aufgeteilt, andere haben sich im Freien getroffen. So wie die Männer von Lyra, die zweimal auf Zeche Nachtigall geprobt haben. „Jetzt wollten wir eigentlich in den Saalbau“, erzählt Lyra-Vorsitzender Heinz-Jürgen Freitag. Geplant war eine „Probe verkehrt herum“: „Die Sänger sollten auf den Zuschauerplätzen sitzen“, so der 69-Jährige. Dann gingen die Zahlen hoch – und die Pläne den Bach runter.

Corona reißt großes Loch in die Kassen der Wittener Chöre

Auch draußen singen – wie hier beim Ständchen des Männergesangvereins MGV Deutsche Eiche 1880 Hammertal im Juli 2019 – in Witten-Buchholz ist derzeit nicht möglich.
Auch draußen singen – wie hier beim Ständchen des Männergesangvereins MGV Deutsche Eiche 1880 Hammertal im Juli 2019 – in Witten-Buchholz ist derzeit nicht möglich. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Der neue Lockdown bringt die Chöre in arge Nöte. Mit den Einnahmen der Weihnachtskonzerte hätten sie die Löcher in den Kassen stopfen können, die das Corona-Jahr gerissen hat. Denn viele Gruppen zahlen ihre Chorleiter weiter, damit die finanziell nicht ins Bodenlose fallen. „Dieses Jahr haben wir das alles noch geschafft, aber im nächsten sieht es dann schon trauriger aus“, sagt Jürgen Pöting von der Deutschen Eiche Hammertal – zumal der Sängerbund die Chöre finanziell hängen lasse, wie er erbost hinzufügt.

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Von Britta Bingmann und Annette Kreikenbohm

Und noch eine andere Angst kommt hinzu: Viele Chöre haben Sorge, ihnen könnten die Mitglieder verloren gehen. Wer ein Jahr nicht mehr gesungen hat, der bleibt dann vielleicht ganz weg, so die Befürchtung. Große Ensembles wie Lyra – mit 110 Sängern einer der größten Chöre im Land – könnten den Schwund verkraften. Bei den kleineren sieht das anders aus: „Ich weiß von vier, fünf Chören in der Umgebung, die es wohl nicht packen werden“, so Lyra-Chorleiter Stefan Lex. Beim Chor „Efharisto“ in Herbede freuen sich (noch) alle auf den Neustart. Dennoch ist auch Chorleiter Henning Hartwig bewusst: „Die Situation ist eine starke Belastungsprobe für die Chöre.“

Wittenerin betont: „Singen stärkt das Immunsystem“

Dabei ist es beileibe nicht nur die Gemeinschaft, die den Chören fehlt – auch der Gesang selbst: „Singen trägt zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden bei“, erklärt Heinz-Jürgen Freitag. „Gesang ist anstrengend. Aber ich kann dabei abschalten und bin danach wie ausgewechselt.“

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Eine Einladung in die Carnegie-Hall hatte der Ama-Deus-Chor Witten unter Leitung von Susanna Dornwald (Mitte) – hier bei einem Konzert in der Erlöserkirche 2019 – erhalten. Auch diese Reise musste ausfallen.
Eine Einladung in die Carnegie-Hall hatte der Ama-Deus-Chor Witten unter Leitung von Susanna Dornwald (Mitte) – hier bei einem Konzert in der Erlöserkirche 2019 – erhalten. Auch diese Reise musste ausfallen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Es sei nachweislich erwiesen, dass Singen gut für die Stärkung des Immunsystems sei, sagt auch Susanna Dornwald, die den Ama-Deus-Chor leitet. „Und wer singt, kann keine Angst haben!“ Deswegen sei es unglaublich bitter, dass Chöre gerade in dieser Zeit nicht zusammenkommen können. Auch für die vielen tausend Konzertbesucher, die jetzt in einem Oratorium oder Gospelkonzert sitzen würden: „Konsum ist erlaubt, aber geistige Nahrung gibt es nicht. Und das in einem Kulturland wie Deutschland – es ist bitter, ganz bitter, das zu erleben“, so die Schwedin.

Auch die Reise nach New York mussten die Wittener absagen

Besonders bitter für den Ama-Deus-Chor: Auch der für November geplante Auftritt in der Carnegie-Hall in New York, dem die Teilnehmer entgegengefiebert hatten, ist der Pandemie zum Opfer gefallen. „Aber wir haben einen sehr eindringlichen Appell von den Organisatoren bekommen, dass wir nicht aufgeben sollen“, erzählt Dornwald. Und der Chor sei herzlich eingeladen zu kommen, wenn es wieder geht.

Hoffnung auf die „Winterreise“

Die Chorleiter bleiben trotz der Corona-Lage optimistisch und planen bereits für das neue Jahr. So will Susanna Dornwald vom Ama-Deus-Chor die Reihe „Musik lebt“ mit monatlichen Kammerkonzerten in der Erlöserkirche starten und dazu renommierte Musiker einladen.

Start wäre – wenn es die Situation erlaubt – am 17. Januar mit Franz Schuberts „Winterreise“. Bis zum Sommer sind weitere Konzerte geplant, die unter den nötigen Schutzmaßnahmen stattfinden würden.

Wann das sein wird, steht indes noch in den Sternen. Nicht vorm Frühjahr, wahrscheinlich aber erst im Sommer. Sicher ist: Der Heilige Abend wird still bleiben. „Das wird für uns doppelt schwer“, sagt Chorleiter Henning Hartwig aus Herbede. Denn der Gesang im Gottesdienst sei an Weihnachten doch immer etwas ganz Besonderes – für Sänger wie für Zuhörer. Hartwig ist sicher: „Da wird etwas fehlen.“

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