Wattenscheid. Der Wattenscheider Medizinstudent Christian Meise (25) absolviert ein zweimonatiges Praktikum im brasilianischen Codó. Er berichtet über seine Erfahrungen und die Lebenshintergründe der Einwohner fernab von Zuckerhut und Fußballfieber. Es kristallisiert sich ein Land mit zwei Gesichtern heraus.
Zwischen Fußball und Favelas, Idylle und Industrialisierung, Samba und Schulden. Brasilien – ein Land mit zwei Gesichtern. Lebenslust und -frust gehen Hand in Hand. Die Fußball-Weltmeisterschaft steht in den Startlöchern und der „futebol“ symbolisiert derzeit die Zerrissenheit der Bevölkerung in Reinform: Begeisterung, Proteste, Leidenschaft.
Was der Blick aus der Ferne oftmals misst, sieht Christian Meise. Der 25-jährige Wattenscheider absolviert von Anfang April bis Ende Mai ein kurrikuläres medizinisches Praktikum („Famulatur“) in der ambulanten Patientenversorgung: „Leider wird bei der Berichterstattung vor allem der Fußball in den Mittelpunkt gestellt – die Lebenshintergründe der Menschen werden oft vernachlässigt.“
Brasilien ist WM-Gastgeber
Über die Kirche knüpfte der Medizinstudent Kontakt zu einem Missionar, der ursprünglich aus Essen kommt: „Bei ihm wohne ich in Codó (118.000 Einwohner) im Nordosten Brasiliens.“ Da die Region als eine der ärmsten des Landes gelte, war es sein Wunsch, dort „Medizin unter spartanischeren Bedingungen kennen zu lernen.“
Fastfood und zu wenig Bewegung
Codós Problematik sei bedingt durch die rasante Technologisierung: „Die Menschen wurden von der Steinzeit ins 21. Jahrhundert katapultiert.“ Das ehemals bäuerlich geprägte Hinterland wurde von Investoren überrannt, „Goldgräberstimmung“ setze ein: „Die ‚Segnungen der Zivilisation’ – billige Plastikmöbel, Textilien aus Billiglohnländern und Handys werden beworben.“
Kaum einer könne sich diese allerdings leisten. Deshalb „stopfen“ Banken diese Marktlücke mit Krediten: „Viele verschulden sich so schnell, dass es keinen Ausweg aus dem Sumpf gibt.“ Depressionen, Drogen und Kriminalität stehen nicht selten am Ende des „Zivilisationstraums“.
Kuriose Tierbesuche und zweiter Teil
Etwas „gewöhnungsbedürftig“ seien Klima und Tierwelt für den Wattenscheider: „Die Temperaturen fallen nie unter 20°C, weshalb die meisten Häuser keine Fensterscheiben besitzen.“ Das führt dazu, dass die örtliche Tierwelt problemlos ein- und ausgehe: „Nachts muss man sich schon einmal bücken, um nicht mit Fledermäusen zusammen zu stoßen“, berichtet Meise. In der Küche sei ein kurzer „Kontrollblick“ hilfreich: „Beim Frühstück finde ich regelmäßig einen Frosch zwischen dem Geschirr oder gar im Wasserkocher.“
Im zweiten Teil des Berichts wird Christian Meise auf sein Praktikum zurück blicken. Themen u.a.: herrschender Ärztemangel, Hygieneprobleme, Verständigung, einprägsame Begegnungen mit der Bevölkerung vor Ort und ein abschließendes Fazit.
Diese Armut spiegele sich auch im medizinischen Zustand wider: „Viele Patienten hier sind Kinder. Schlechte Hygiene und Mangelernährung führen zu Wurm- und Durchfallerkrankungen.“ Bei den Erwachsenen sei hingegen ein Trend zu ‚Zivilisationskrankheiten’ durch Übernahme westlicher Lebensstile zu erkennen: „Durch ein geringes Bildungsniveau wissen viele nicht, was gesund und ungesund ist. Fastfoodketten preisen ‚gesunde Hamburger’, Cola und American-Pizza an. Dazu kommt unzureichende Bewegung.“
Optimismus und Gastfreundschaft
Es sei kein Wunder, dass die Brasilianer gegen die horrenden finanziellen Ausgaben für die WM protestieren, während Gelder für Bildung und Gesundheit fehlen. Dennoch: „Der Fußball verbindet hier die Menschen, bietet eine Möglichkeit, die Sorgen für 90 Minuten zu vergessen und lässt auf eine bessere Zukunft hoffen.“
Dies sei ein auffälliges Merkmal: „Die Leute sind erstaunlich gut gelaunt, jammern viel seltener als die Deutschen und besitzen einen unglaublichen Optimismus.“ Auch die Gastfreundschaft schätzt Meise: „Sie teilen mit mir das Wenige, was sie haben.“