Wattenscheid. Eine krebskranke Rentnerin (65) aus Bochum verzweifelt auf der Suche nach einem Pflegedienst. Gibt es zu wenige? Wir suchen nach Antworten.
Es ist die verzweifelte Suche nach einem Pflegedienst, die viele Menschen bewegt hat. Carola Kraft (65) aus Bochum hat Krebs und einen künstlichen Darmausgang. Ihre Suche nach einem ambulanten Pflegedienst lasse sie verzweifeln, klagt die 65-Jährige: „Überall nur Absagen.“ Kein Einzelfall. Aufnahmestopps seien in der Branche inzwischen die Regel, berichtet ein Insider. Doch warum ist es so schwer, dort unterzukommen?
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„Das größte Problem ist der Personalmangel“, sagt Bianca Kerger (48) vom Pflegedienst Kerbo, den es mit seinen 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seit knapp einem Jahr in Wattenscheid gibt. „Wir haben nicht die Leute zur Verfügung, um alle Anfragen erfüllen zu können.“ Pflegebedürftige und ihre Angehörigen würden sich meist telefonisch melden. „Oft sind wir dann aber schon der fünfte oder sechste Pflegedienst, der angerufen wird“, sagt die Inhaberin.
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Für den Pflegedienst sei es auch oft eine Abwägung, inwiefern sich ein Auftrag rechne. „Es ist traurig, aber wirtschaftlich rechnet sich das Baden für uns nicht.“ Mit 25 Euro kalkulieren die Krankenkassen für ein Bad, bei dem eine Pflegekraft eine Stunde beschäftigt ist, heißt es. „Und ganz egal, ob ein Patient eine Wunde verbunden bekommt oder zehn: Wir bekommen das nur einmal bezahlt“, sagt Bianca Kerger. „Wir wollen den Menschen helfen, das ist ganz klar. Aber wir stecken da oft auch in einer Zwickmühle.“
Für Pflegedienste zählt, wie lange die Anfahrt zum Patienten ist
Anderen Pflegediensten geht das ähnlich. Sie würde gerne jeden aufnehmen, der anfragt, sagt Manuela Storek, stellvertretende Pflegedienstleitung beim Pflegeteam Fork aus Wattenscheid. Sie müsse aber bei jeder Anfrage schauen: Hat sie das Personal dafür? Passen die Kunden in die bestehenden Routen? Wie flexibel sind die Kunden? „Sie können sich vorstellen, dass eine Pflegekraft nicht sechs Kunden gleichzeitig morgens um 7 Uhr fertigmachen kann.“
Fürs Pflegeteam Fork, vor zweieinhalb Jahren gegründet und mit sechs Mitarbeitenden in Wattenscheid und angrenzenden Stadtteilen aktiv, ist das Einzugsgebiet der entscheidende Faktor. „Wenn man erst 20 Minuten hinfährt, um dann fünf Minuten vor Ort zu sein für eine Leistung, für die die Kasse dann vielleicht zwölf Euro zahlt, dann rechnet sich das nicht“, sagt Storek.
Pflegedienste: Pauschalen reichen nicht aus
Apropos Pauschalen: Reichen die aus? „Nein“, sagt Manuela Storek und gibt ein Beispiel, Stichwort „Ausscheidung“. Fürs Wechseln der Schutzhose eines inkontinenten Kunden zahle die Kasse 6,25 Euro plus Anfahrtspauschale. Sie versuche dennoch, den Zeitdruck bei ihren Mitarbeitenden nicht zu groß werden zu lassen. Die Fluktuation in der Branche sei unheimlich hoch. „Um dem vorzubeugen, handhaben wir das ein bisschen angenehmer“, sagt Storek. „Es bringt mir nichts, wenn meine Mitarbeiter unzufrieden sind und gehen. Oder die Kunden unzufrieden werden.“
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Was aus ihrer Sicht auch helfen würde: Eine gewisse Flexibilität auf Seiten der Pflegebedürftigen. Wenn jemand zeitlich nicht so gebunden sei, dann könne der- oder diejenige auch um 10 Uhr frischgemacht oder am Nachmittag geduscht werden. Das entzerre für den Pflegedienst die Aufgaben.
Großes Problem: Mangel an Fachkräften
Petra Sonnenschein führt den gleichnamigen Pflegedienst mit Büros in Günnigfeld und Höntrop, auch sie sagt: „Man kann immer nur so viele Patienten aufnehmen, wie man versorgen kann.“ Das große Problem für sie: Fachkräfte zu gewinnen. „Ich kann nicht alle Leistungen mit Helfern oder einjährig examinierten Kräften erbringen“, sagt sie, „ich brauche auch dreijährig examinierte.“ Es sei „einfach sehr, sehr schwierig, Personal zu finden – gutes Personal und Personal, das auch gut beim Klienten ankommt“.
Mitarbeitergewinnung sei schwierig, weil die ambulante Pflege im Pflegebereich eine der schwersten Bereiche sei, sagt Sonnenschein und zählt auf: Es handele sich in der Regel um eine Langzeitpflege, fast immer „Eins-zu-eins“. Hinzu komme oftmals enger Kontakt mit pflegenden Angehörigen (“Was gut sein kann oder auch nicht gut. Meistens gut.“), außerdem die Touren durch den Straßenverkehr. Die psychische Belastung bei den Pflegenden sei groß, sagt Petra Sonnenschein.
„Wir überlegen uns bei jedem Klienten, den wir aufnehmen, sehr genau: ist das noch möglich?“, erklärt sie. „Wenn wir so arbeiten würden, wie wir das gegenfinanziert bekommen, könnten wir kaum ein Wort mit den Klienten wechseln.“ Ihre Mitarbeitenden nähmen sich trotzdem die Zeit für ein Gespräch, „das soll auch so bleiben“.
Pflege ist „kein einfacher, aber ein schöner Bereich“
Und trotzdem, sagt Sonnenschein, „muss ich gucken, dass die Kasse stimmt“. Bei jeder Tourenplanung muss sie berücksichtigen: „Hab ich den richtigen Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Es ist nicht so leicht, dass es dann auch wirtschaftlich für den Dienst ist.“ Sie gehe davon aus, dass die Lage für die Patienten schlechter werden wird, weil sie davon ausgehe, dass sich viele Pflegedienste so nicht halten werden können.
Die ambulante Pflege, sagt Petra Sonnenschein, „ist kein einfacher Bereich, aber ein sehr schöner Bereich.“ Das müsse man sich manchmal auch wiederholen: Der Beruf sei anstrengend, aber er habe auch viele positive Aspekte. „Würd’s uns nicht geben, würde es vielen Menschen schlechter gehen.“
Zahl der Pflegebedürftigen steigt
Rund 1,2 Millionen Menschen in NRW galten nach Daten des Statistischen Landesamtes IT.NRW im Jahr 2021 als pflegebedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuchs (SGB XI). Das entspricht etwa 6,6 Prozent der Bevölkerung. Bezogen auf die rund 73.000 Einwohner im Stadtbezirk Wattenscheid käme man hier heruntergerechnet auf etwa 4800 Pflegebedürftige.
Mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen in NRW bezog ausschließlich Pflegegeld. Das heißt, die Versorgung erfolgte über selbst organisierte Pflegehilfen. Knapp jeder fünfte nahm einen ambulanten Pflegedienst in Anspruch.
IT.NRW hat auch eine „Pflegemodellrechnung“ aufgestellt, die vorhersagt, wie sich die Lage weiter entwickeln dürfte: Demnach wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2050 um etwa 30 Prozent ansteigen. Hauptgrund: Bis dahin kommen die geburtenstarken Jahrgänge der „Babyboomer“ in ein Alter, in dem das Risiko, pflegebedürftig zu sein, am höchsten ist. Die Zuwächse werden den Statistikern zufolge aber regional sehr unterschiedlich ausfallen – für Bochum wird ein Anstieg von 15 Prozent vorhergesagt.