Bochum-Wattenscheid. Metzgerei Müller stand wegen Fachkräftemangel kurz vor dem Aus, hatte bereits mehrere Monate geschlossen. Dann kam ein glücklicher Zufall.

Es ist eine kleine Zeitreise, die man unternimmt, wenn man die Räumlichkeiten der Metzgerei Müller an der Hochstraße in Wattenscheid betritt. Mobiliar und Gardinen versetzen in ein anderes Jahrzehnt, Urkunden und Auszeichnungen aus vielen Jahren hängen Reih an Reih an den Wänden, eine Fotoaufnahme aus den 1920er Jahren zeigt den jetzigen Standort in seiner schwarz-weißen Vergangenheit.

Metzgerei Müller in Bochum-Wattenscheid hat Tradition

Metzger Herbert Müller steht in weißem Kittel und Gummistiefeln in der Produktionsstätte, Sohn Jan-Marius schiebt eine Kiste Zwiebeln beiseite und hängt Mettwürstchen zum Trocknen auf. All das sollte vorbei sein. Der Geruch nach Fleischgewürzen ebenso wie das frühmorgendliche Aufstehen um halb vier. Das Experimentieren mit neuen Rezepten und auch das Verköstigen der selbstgemachten Wurst als „Qualitätskontrolle“. Doch es kam anders.

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Metzgerei mit Kultstatus

„Im Jahr 2020 entschloss ich mich, den väterlichen Betrieb zu übernehmen und machte mich an die Planung“, erinnert sich Müller junior. Nach den Sommerferien wollte er durchstarten. Doch dann kam der Geselle, mit dem er für die nächste Zeit geplant hatte, aus dem Krankenstand zurück - und kündigte. „Ich stand vor dem Nichts“, sagt Müller, der vor seiner Ausbildung als Metzger Wirtschaftswissenschaften studierte und Bürokaufmann lernte.

Schnell sei ihm klar gewesen, dass er den Betrieb so nicht habe weiterführen können. „Das war ein Schock. Schweren Herzens mussten wir unserer Belegschaft mitteilen, dass wir schließen werden“, sagt der 37-Jährige. Vier Personen arbeiteten damals in der Produktion, fünf im Verkauf. Einige Tränen seien geflossen, teilweise hätten Mitarbeiter Jahrzehnte für die Metzgerei Müller, die in Wattenscheid Kultstatus genießt, gearbeitet.

Produktionshelfer gefunden

An der Hochstraße 88 verstummten die Maschinen also vorerst, die Theke wurde leergeräumt. Jan-Marius Müller kam in einer anderen Fleischerei unter. Doch dann lief der Familie der jetzige Produktionshelfer Roland Schneider über den Weg. Der hatte bereits einmal für die Metzgerei gearbeitet und war dabei vom Jobcenter gefördert worden.

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Im Rahmen des Teilhabechancengesetzes fördert das Jobcenter Arbeitsverhältnisse für Langzeitarbeitslose und bezuschusst die Lohnkosten. Der gelernte Bäcker hatte sich immer wieder mit Zeitarbeit-Jobs über Wasser gehalten, war aber immer wieder in die Arbeitslosigkeit gerutscht. So auch, als Müller ihn wiedertraf. „Ich habe dann entschieden, Herrn Schneider ohne Förderung anzustellen“, sagt der jetzige Inhaber.

Mangel an Nachwuchs

Weitere Entscheidungen fielen: Kein Verkauf mehr im Laden, dafür aber viermal wöchentlich auf verschiedenen Wochenmärkten. „Auf dem Markt ist es lockerer“, sagt Müller. Dank der Hilfe von Schneider können er und sein Meister unbeschwert arbeiten. Gewürze und Därme bringen und vorbereiten sowie Fleisch schneiden - das gehört zu Schneiders Aufgabenspektrum.

„Es mangelt in unserem Handwerk extrem an Nachwuchs. Wir sind deshalb sehr froh, jemanden gefunden zu haben, der gewissenhaft und zuverlässig ist“, so Müller. Den harten Knochenjob wollten immer weniger junge Menschen ergreifen. „Schon in meiner Ausbildungsklasse waren nur 15 Personen“, erinnert er sich.

Vom Jobcenter vermittelt

Schneider freut sich, neue Arbeit gefunden zu haben: „Ich fühle mich hier in der Metzgerei wie in einer Familie“, sagt er. Er fange zwar schon um kurz vor fünf an, habe aber dafür nachmittags frei. „Man gewöhnt sich ans frühe Aufstehen“, so Schneider. Für Georg Sondermann, den Geschäftsführer vom Jobcenter Bochum, ist der Fall eine klare Erfolgsgeschichte. „Alle Seiten haben profitiert“, resümiert er.

Im Team werde jeder gebraucht, es sei auch wichtig, dass es Tätigkeitsbereiche gebe, in denen man als Ergänzung arbeite. Auch Vater Herbert Müller ist stolz, dass es an der Hochstraße 88 doch noch weitergegangen ist. „Mein Großvater hat das Geschäft vor über 100 Jahren gegründet. Da kann man nicht alles falsch gemacht haben, wenn es heute noch Bestand hat“, ist er sich sicher.

Verkauf auf Wochenmärkten
Die Metzgerei Müller
befindet sich weiterhin an der Hochstraße 88 in Wattenscheid, verkauft dort aber keine Ware mehr. An dem Standort befinden sich nur die Produktionsstätten.

Gekauft werden können die Metzgerei-Produkte dienstags und freitags auf dem Wochenmarkt am Alten Markt, donnerstags am Bismarckplatz und samstags am Max-König-Platz in Günnigfeld. Der Stand hat dann jeweils von 7 Uhr bis 13 Uhr geöffnet.