Wattenscheid. Die Wattenscheider Tafel schätzt die Menge der von Armut betroffenen Kinder in Bochum auf über 15.000. Nun sammelt sie wieder Weihnachtspäckchen.
Die Informationen bekommen die Helfer der Wattenscheider Tafel oft von Kindergärtnerinnen oder von den Schulen. „Zwischen 15.000 und 18.000 Kinder hier im Umkreis leben in Haushalten, wo das Einkommen unter der Armutsgrenze liegt“, berichtet Udo Appelhoff, einer der „Botschafter“ und Unterstützer der Tafel Wattenscheid und Bochum. Deshalb hat die Tafel für die Kinder, die nichts oder kaum etwas unter dem Weihnachtsbaum erwarten können, doch wieder eine Weihnachtspäckchen-Aktion aufgelegt.
Armut in Bochum wächst
Denn die Enttäuschung vor zwei Jahren war groß, „das war furchtbar, da war Schund drin, Müll oder sogar Hundefutter - für Kinder“ weiß Appelhoff. Deshalb appellieren die Helfer, die Spenden in offenen Kartons abzugeben, damit sie wenigstens das Alter und Geschlecht der Kinder einschätzen können. „Und nur Sachen rein zu packen, die man auch dem eigenen Kind schenken würde“, bittet er, „damit es keine Enttäuschungen gibt“. Auch gut erhaltene Winterkleidung oder Schuhe werden gern angenommen.
Viele Ältere schaffen den Weg nicht
Immer häufiger müssen die Helfer der Tafel seit einiger Zeit auch feststellen, dass Ältere oder Behinderte und vor allem Alleinstehende, die regelmäßig an der Laubenstraße vorbeigeschaut haben, kaum oder gar nicht mehr zu sehen waren. „Seit der Gründung vor rund 20 Jahren unterstützen wir diese Menschen mit der Lieferung von Lebensmitteln in ihre Wohnungen, dafür haben wir eigene Fahrzeuge im Einsatz“, berichtet Appelhoff.
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Aber immer mehr Menschen scheint es schwer zu fallen, den Weg anzutreten, oder sie scheuen den Besuch aus Angst in der Corona-Zeit.
„Aber die Besucher hier zeigen viel Geduld und Verständnis in der Schlange“, hat auch Tafel-Vorsitzender Manfred Baasner beobachtet
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Termine und Kontakt
Der Bus der Tafel macht zum Einsammeln von Weihnachtspäckchen Station am 8. Dezember, und zwar von 13.30 bis 14.30 Uhr vor Rewe Offergeld in Stiepel an der Kemnader Straße 304, vor Rewe Lenk am selben Tag in Eppendorf von 15 bis 16 Uhr, am 9. Dezember von 13 bis 14 Uhr auf dem Marktplatz in Linden an der Hattinger Straße/Dr.-C.-Otto-Straße und vor dem Rathaus am Willy-Brandt-Platz am selben Tag von 14.30 bis 15.30 Uhr.
Weitere Infos bei der Wattenscheider Tafel e.V., Laubenstraße 19, 02327 328597, info@wattenscheider-tafel.de, www.wattenscheider-tafel.de
Schwierigkeiten treten für die Helfer ganz banal dadurch auf, dass einige der Fahrzeuge inzwischen eine stattliche Kilometerleistung aufweisen und dringend neue benötigt werden.
Auch wird es eng, was die Fahrer für die Transporter angeht.
Es gibt Tafeln in deutschen Städten, denen das Essen ausgeht. In Wuppertal musste gar der gesamte Betrieb eingestellt werden. So schlimm ist es in Bochum nicht. „Wir bekommen genügend Lebensmittel“, sagt Manfred Baasner. Einschränkungen gibt es trotzdem.
Es fehlt an Personal. „Etwa die Hälfte der ehrenamtlichen Mitarbeiter hat sich in der Coronakrise zurückgezogen. Dafür habe ich Verständnis“, sagt der Tafel-Chef. Schließlich gehört ein Großteil der Ehrenamtlichen zur Risikogruppe. Und die muss sich schützen. Die Folge: In der bisherigen Form ist die Ausgabe von Lebensmitteln momentan nicht aufrecht zu erhalten. „Wir mussten unsere 34 Außenstellen im gesamten Stadtgebiet Bochum schließen“, so Baasner. Seit Anfang der Woche werden die Produkte ausschließlich in der Tafel-Zentrale an der Laubenstraße in Wattenscheid ausgegeben.
Gelassenheit trotz langer Wartezeit
Und auch das hat Folgen. Die Schlangen werden wieder länger, weil die Gäste ein bis zwei Meter Abstand zueinander halten sollen. Und sie stehen dort auch länger. „Sonst ist es eine Stunde, jetzt kann es bis zu zweieinhalb Stunden dauern“, sagt Manfred Baasner.
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Seine Befürchtungen, die Krise, Hamsterkäufe bei den Lieferanten und die besonderen Umstände der Ausgabe könnten zu einer angespannten oder gar aggressiven Stimmung führen, haben sich nicht bewahrheitet. „Das hat mich selbst überrascht“, gesteht der 76-jährige Tafel-Gründer. Schließlich kann er sich noch gut an die angespannte Lage vor gut zwei Jahren erinnern. Jetzt spricht er von einem „schönen Miteinander von Ehrenamtlichen und Gäste.“. Ein gutes Zeichen in schwierigen Zeiten.
Auch das Verständnis für die besonderen Umstände bei der Lebensmittelausgabe sei da. Dass es einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu den ehrenamtlichen Helfern geben muss, habe jeder verstanden. Komme es dennoch mal zu Unmut, sei der schnell beigelegt. Die Helfer wiederum schützen sich u. a. mit Gesichtsmasken. „Die haben wir selbst hergestellt, Es ist ja nichts mehr zu bekommen.“
16.000 Gäste und 46 Tonnen Lebensmittel jede Woche
Der Tafel-Chef ist froh dass der Betrieb weiter laufen kann und bedürftige Menschen Hilfe bekommen. Bis zu 16.000 Menschen haben vor Corona jede Woche das Angebot genutzt. Dabei wurden bis zu 45 Tonnen Lebensmittel ausgegeben. Baasner: „Jetzt ist es manchmal weniger, manchmal aber gibt es auch genauso viel wie sonst.“
Bis auf Weiteres öffnet die Tafel zweimal in der Woche, montags und donnerstags jeweils zwischen zehn und zwölf Uhr. Für die älteren und hilfsbedürftigen Gäste ist mittlerweile ein Lieferdienst eingerichtet. „Das funktioniert ganz gut“, sagt Manfred Baasner. 150 bis 200 Personen würden so versorgt. „Den Älteren und Kranken können wir doch nicht zumuten, hier bei uns zwei Stunden in der Schlange zu stehen“, so der Tafel-Chef. Und er weiß, dass noch weitere Menschen Hilfe benötigen. Nächste Woche soll noch ein dritter Lieferwagen mit je zwei Ehrenamtlichen eingesetzt werden, um Lebensmittel zu ihnen zu bringen.
„Langzeitarbeitslose, die in Maßnahmen gefördert werden, wie Ein-Euro-Jobs, stehen nach Ende dieser Förderungen oft nicht mehr zur Verfügung, die sind dann für uns einfach weg“, bedauert Udo Appelhoff.
Päckchen-Aktion bis Heiligabend
Die Weihnachtspäckchen sollen jedenfalls rechtzeitig ankommen, die Aktion soll bis zum 23. Dezember laufen, „aber auch bis zum 24. um 12 Uhr, und bei den Menschen mit orthodoxem Bekenntnis auch noch bis zwei Wochen später“, erklärt Mick Fantasia, einer der aktiven Helfer und Assistent von Manfred Baasner voller Energie.
Der Bedarf habe sicher zugenommen, sind sie sich hier einig. Es müsste sich nur weiter herumsprechen, dass es ihn gibt, dass Armut aktuell und hier die Menschen trifft: „Da sind viele einfach nicht ehrlich, denen es gut geht.“
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